Beschreibt Dave Eggers in seinem Roman „Der Circle“ die Welt von Morgen?
Ob Apple, Amazon, Google, Facebook, PayPal oder Twitter, der fiktive Internetkonzern Circle hat alle bekannten Internetdienste zentralisiert. Jeder Nutzer hat nur noch ein Internetkonto: TruYou - d.h. eine Identität, ein Passwort und ein Zahlungssystem. Dadurch gibt es keine Anonymität mehr im Netz. Es entsteht eine umfassende Transparenz, die eine totale soziale Kontrolle erzeugt. Es gibt keine Freiräume mehr, keine Privatheit. Dave Eggers’ Roman „Der Circle“ ist eine düstere Zukunftsvision.Die Hauptfigur: Mae Holland
Schnell integriert sie sich in das System der totalen sozialen Kontrolle und übernimmt die Ideologie des Circle: die totale Transparenz. Sukzessive verzichtet sie freiwillig auf ihre Rechte. Jeder ihrer Arbeitsschritte wird überwacht, selbst am Wochenende arbeitet sie, ihre Vitalwerte werden von einem Armband ausgelesen und für jeden sichtbar in der Cloud gespeichert. Um den Hals trägt sie bald eine Kamera, die jeden ihrer Schritte öffentlich macht,. Bei Verstößen gegen das Gebot der Transparenz gibt es regelrechte Selbstkritikveranstaltungen, bei denen der Delinquent öffentlich seine Schuld eingestehen und Besserung geloben muss.
Die Vorteile sind auch die Nachteile
Überall auf der Welt werden kleine Kameras installiert, die über Satellitenanbindung Bilder liefern. Polizeigewalt, Maßnahmen von Terrorregimen, Kriminalität – nichts bleibt verborgen. Korruption und Machtmissbrauch nehmen ab, denn auch immer mehr Politiker tragen diese Kameras mit sich.
Über ChildTrack, ein bei Kindern eingepflanzter Chip unter der Haut, können Eltern jederzeit die Position ihres Kindes bestimmen. Kindesentführer haben keine Chance mehr. Das Complete Health Data Program, das über einen Handgelenksensor sämtliche Gesundheitsdaten auswertet, hilft, Krankheiten bereits im Frühstadium zu erkennen. Die Heilungschancen, auch bei schweren Erkrankungen, sind so hoch wie noch nie.
Die Philosophie des Circle wird in drei Slogans ausgedrückt: „Geheimnisse sind Lügen“, „Teilen ist Heilen“ und „Alles Private ist Diebstahl“. Nach und nach entsteht auf dieser Basis eine totalitäre Macht, die anfängt Andersdenkende zu unterdrücken. Auf den Computern von Politikern, die sich der Transparenz entziehen oder die Monopolstellung des Unternehmens angreifen, findet sich seltsamerweise belastendes Material, das deren Zukunft zerstört. Sogar Todesfälle werden vertuscht. Es finden öffentliche Selbstkritikveranstaltungen statt, wie sie auch Mae über sich ergehen lassen muss.
Am Schluss übernimmt der Konzern staatliche Aufgaben: Jeder Bürger muss ein TruYou-Konto haben, um wählen zu können.
Anders als bei den düsteren Zukunftsvisionen von Aldous Huxley und George Orwell entwirft Eggers nicht das Bild totalitärer Systeme, sondern zeigt auf, wie diese entstehen. Ein Konzern mit ursprünglich humanitären Zielen übt immer mehr Repression aus. Aus der anfänglichen Freiwilligkeit wird bald Zwang. Nur wenige erkennen den Irrweg.
Da ist z.B. Kalden, ein geheimnisvoller, grauhaariger Mann, der immer wieder auf dem auf dem Campus auftaucht und mit Mae eine Affäre hat. Er versucht Mae klar zu machen, welche totalitäre Macht hier entsteht. Am Schluss verschwindet er.
Waren es bei Aldous Huxley und George Orwell noch totalitäre Staaten, die die Menschen knechteten, ist es jetzt eine Unternehmensmacht, die sich staatlichem Zugriff und staatlicher Kontrolle entzieht. Und wer aufmerksam die Nachrichten verfolgt, der weiß, wie real die weder demokratisch legitimierte, noch konventionell kontrollierbare Macht multinationaler Konzerne ist.

Zugegeben, der Roman hat Schwächen: Die Protagonistin erscheint oft eindimensional, naiv und nicht lebendig. Ebenso wie die Gegner des Systems, die gerne langatmig dozieren. Manche Metaphern, wie der nimmersatte transparente Hai, sind eindeutig unnötig. Und auch die langatmigen Mitarbeitergespräche stellen den Leser auf eine harte Geduldsprobe.
Aber dennoch ist „Der Circle“ ein wichtiges Buch: Eggers denkt Prozesse zu Ende, die bereits zu erkennen sind. Es gibt ja bereits das Smartphone, das immer weiß, wo wir sind. Oder den Samsung-Fernseher, der unsere privatesten Gespräche aufzeichnet. Was weiß Google schon alles über uns, und was verraten wir nicht alles an Facebook? Wie viele Unternehmen sehnen sich nach der Monopolstellung von Google, Apple und Amazon und versuchen auf groteske Art und Weise diese Unternehmen zu imitieren? Lassen sich heute nicht schon viele hochqualifizierte, vor allem jüngere Mitarbeiter, von unsinnigen Unternehmensideologien vereinnahmen und verwechseln die Arbeit mit dem Leben?
Die freiwillige Abschaffung des Privaten, die am Anfang aller totalitären Systeme steht, hat bereits begonnen. Erkennen die "digital natives" diese Gefahr überhaupt?
Wie die meisten, nutze auch ich die Vorteile des Internets: Sich schnell informieren über Google und Wiki, den Wetterbericht online lesen, sonntags bei Amazon einkaufen, einen Blog auf Google-Blogger betreiben, mit Freunden über Facebook in Kontakt bleiben und, und, und. Niemand, auch ich nicht, möchte auf die Vorteile des Internets verzichten.
Aber man muss auch immer bedenken, wohin das im schlimmsten Fall führen kann. Und Eggers hat in „Der Circle“ diese Dinge konsequent zu Ende gedacht. Das ist sein großer Verdienst!
Dave Eggers:
Der Circle
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
ISBN-13: 978-3462046755
558 Seiten
22,99 €
„Schöne neue Welt“ und „1984“
Anders als bei den düsteren Zukunftsvisionen von Aldous Huxley und George Orwell entwirft Eggers nicht das Bild totalitärer Systeme, sondern zeigt auf, wie diese entstehen. Ein Konzern mit ursprünglich humanitären Zielen übt immer mehr Repression aus. Aus der anfänglichen Freiwilligkeit wird bald Zwang. Nur wenige erkennen den Irrweg.
Da ist z.B. Kalden, ein geheimnisvoller, grauhaariger Mann, der immer wieder auf dem auf dem Campus auftaucht und mit Mae eine Affäre hat. Er versucht Mae klar zu machen, welche totalitäre Macht hier entsteht. Am Schluss verschwindet er.
Waren es bei Aldous Huxley und George Orwell noch totalitäre Staaten, die die Menschen knechteten, ist es jetzt eine Unternehmensmacht, die sich staatlichem Zugriff und staatlicher Kontrolle entzieht. Und wer aufmerksam die Nachrichten verfolgt, der weiß, wie real die weder demokratisch legitimierte, noch konventionell kontrollierbare Macht multinationaler Konzerne ist.
Dave Eggers: Der Circle -
eine düstere Zukunftsvision.
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Eine spannende Zukunftsvision und eine empfehlenswerte Lektüre
Zugegeben, der Roman hat Schwächen: Die Protagonistin erscheint oft eindimensional, naiv und nicht lebendig. Ebenso wie die Gegner des Systems, die gerne langatmig dozieren. Manche Metaphern, wie der nimmersatte transparente Hai, sind eindeutig unnötig. Und auch die langatmigen Mitarbeitergespräche stellen den Leser auf eine harte Geduldsprobe.
Aber dennoch ist „Der Circle“ ein wichtiges Buch: Eggers denkt Prozesse zu Ende, die bereits zu erkennen sind. Es gibt ja bereits das Smartphone, das immer weiß, wo wir sind. Oder den Samsung-Fernseher, der unsere privatesten Gespräche aufzeichnet. Was weiß Google schon alles über uns, und was verraten wir nicht alles an Facebook? Wie viele Unternehmen sehnen sich nach der Monopolstellung von Google, Apple und Amazon und versuchen auf groteske Art und Weise diese Unternehmen zu imitieren? Lassen sich heute nicht schon viele hochqualifizierte, vor allem jüngere Mitarbeiter, von unsinnigen Unternehmensideologien vereinnahmen und verwechseln die Arbeit mit dem Leben?
Die freiwillige Abschaffung des Privaten, die am Anfang aller totalitären Systeme steht, hat bereits begonnen. Erkennen die "digital natives" diese Gefahr überhaupt?
Wie die meisten, nutze auch ich die Vorteile des Internets: Sich schnell informieren über Google und Wiki, den Wetterbericht online lesen, sonntags bei Amazon einkaufen, einen Blog auf Google-Blogger betreiben, mit Freunden über Facebook in Kontakt bleiben und, und, und. Niemand, auch ich nicht, möchte auf die Vorteile des Internets verzichten.
Aber man muss auch immer bedenken, wohin das im schlimmsten Fall führen kann. Und Eggers hat in „Der Circle“ diese Dinge konsequent zu Ende gedacht. Das ist sein großer Verdienst!
Dave Eggers:
Der Circle
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
ISBN-13: 978-3462046755
558 Seiten
22,99 €
Video - Dave Eggers und Jaron Lanier im Interview: hier klicken
Das Video dauert 19 Minuten und steht in der ARD-Mediathek bis 06.10.19 zur Verfügung.
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