Ein polnischer Boxer hat einst dem Großvater in Polen das Leben gerettet, indem er diesem riet, was er beim Verhör durch die SS sagen sollte und was besser nicht. Doch der Titel des Romans täuscht. Die Episode mit dem polnischen Boxer ist nur ein Intermezzo, aber nicht handlungsbestimmend.
Das erste Kapitel des Romans, die Suche nach einem literarisch begabten Studenten, hat – zumindest inhaltlich - mit den weiteren Kapiteln nichts zu tun. Es dient lediglich der Charakterisierung der Hauptfigur.
Der bestimmende Handlungsstrang, der auch einen eigenständigen Roman ergeben hätte, dreht sich um den Pianisten Milan. Die Mutter des Pianisten ist Serbin, der Vater Zigeuner. Als Milans Postkarten ausbleiben, fliegt Halfon nach Belgrad, um ihn zu suchen. Auf der Suche nach Milan geht es durch das düstere, von den Bombardierungen während des Kosovokriegs gezeichnete Belgrad. Die beklemmende Atmosphäre, der der Autor gekonnt inszeniert, erinnert an die Grundstimmungen des Film Noir. Der guatemaltekische Professor sucht seinen Freund bei den Zigeunern. Er wird gastfreundlich bewirtet, aber auch skrupellos ausgenommen. Zugleich lernt er zahlreiche Sitten und Gebräuche dieser am Rande der Gesellschaft lebenden Volksgruppe kennen. Dabei ist manchmal kaum zu unterscheiden, was real ist und was der Phantasie des Protagonisten entspringt.
Der Gedanke, dass der Autor mit dem Volk der Zigeuner eigentlich das Volk der Juden meint, liegt nahe. Beide Gruppen wurden (und werden leider auch heute noch in zahlreichen Ländern) von der Mehrheitsbevölkerung abgelehnt und haben deshalb eigene Kulturen und Lebensweisen entwickelt.
Man kann den Roman „Der polnische Boxer“ als Autobiographie eines nichtreligiösen Menschen jüdischer Herkunft lesen. Interessant sind die zahlreichen Personen, Orte, Begebenheiten und Einsichten, mit denen der Autor den Leser konfrontiert. Allerdings sollte man sich schon auf eine unbequeme, zerrissene Lektüre einlassen wollen. Sonst wird man enttäuscht.
Eduardo Halfon wurde 1971 in Guatemala-Stadt geboren. Nach seiner Rückkehr aus den USA, wo er ab dem 10. Lebensjahr aufwuchs, nach Guatemala hatte er eine Professur für Literatur inne. Eduardo Halfon lebt heute in Nebraska.
Eduardo Halfon
Der polnische Boxer
Hanser Verlag 2014
224 Seiten
ISBN 978-3-446-24599-0
Gebundene Ausgabe: 18,90 €
eBook: 14,99 €