Sonntag, 22. September 2013

K wie kurzweilig ???

„K“ lautet der Titel von Tom McCarthys drittem Roman. Warum K ? Der Protagonist heißt Serge Karrefax. Auch die einzelnen Kapitelüberschriften beginnen mit dem Buchstaben K. Kommunikation, Kohlenstoff, Kunst, Ka, Kode … überhaupt spielt der Buchstabe K bzw. Wörter, die mit einem K beginnen, eine zentrale Rolle in diesem Roman. 

Karrefax kommt im Jahr 1898 mit einer Kappe zur Welt, d.h. die Fruchtblase bedeckt seinen Kopf. Angeblich ein Vorzeichen für ein glückliches Leben. Seine Kindheit ist wenig spektakulär. Sein Vater leitet eine Schule für Gehörlose, seine Mutter betreibt auf dem Landgut eine Seidenspinnerei. Die Schwester Sophie interessiert sich für Biologie und studiert Insekten. Karrefax verbringt seine Zeit mit der noch jungen Technik des Funkens. Nächtelang sitzt er an seiner Funkanalage und morst.
 




K ist trotz dieses klassischen Anfangs kein Bildungs- oder Entwicklungsroman. Karrefax hat zwar ein intensives Interesse an der Funktechnik, die ihn sein gesamtes Leben begleiten wird, aber er verfolgt keinen zielgerichteten Lebensplan, um seine profunden Kenntnisse auch beruflich zu nutzen. Er ergreift lediglich sich zufällig bietende Gelegenheiten, die überdies von anderen an ihn herangetragen werden.



Übrigens hat Tom McCarthy, der nicht nur Schriftsteller, sondern „Allround-Künstler“ ist und sich auch durch seine Installationen einen Namen gemacht hat, im Londoner Institute for Contemporary Art zerstückelte Texte u.a. über Radiofrequenzen versendet. Eine biographische Erklärung für den Stellenwert der Funktechnologie im Roman?

Die Geschwister Serge und Sophie Karrefax haben eine sehr innige Beziehung. Im Nachwort beklagt der Übersetzer, dass sich das Wortspiel „insect … incest …, bei dem im Englischen nur der Buchstabe C mit dem schwesterlichen S den Platz wechselt“, durch den Austausch des Buchstaben C durch den Buchstaben K nicht abbilden lässt. Der Inzest wird indes nur angedeutet. Am Schluss, aber auch das bleibt uneindeutig, begeht die Schwester Selbstmord.

Im tschechischen Bad Klodebrady versucht Karrefax, seine chronische Verstopfung zu kurieren. Um ihn herum mehren sich die Anzeichen für das bevorstehende Gemetzel des Ersten Weltkrieges, ohne dass er sich dessen bewusst wird. Eine Stimmung wie am Ende von Manns Zauberberg wird geschildert. Und schon sitzt Karrefax im Kapitel „Krieg“ als Funkaufklärer in einem Doppeldecker, nimmt Kokain und rezitiert Hölderlin, während er Deutsche mit dem Bordmaschinengewehr tötet. Die Beschreibung der Schlachtfelder und der verwesenden Leichen erinnert in ihrem schrecklichen Realismus an Jüngers Stahlgewitter.

Nach dem Krieg studiert der Antiheld Architektur in London, eine reine Verlegenheitslösung, und taucht ein in das wilde Treiben der Roaring Twenties. Er lernt eine Schauspielerin kennen. Partys, intensiver Heroin- und Kokainkonsum sowie Séancen prägen die Londoner Zeit. Fast wird ihm der raushafte Lebenswandel zum Verhängnis, da vermittelt ihm der Vater eine Stelle als Beamter beim Ministerium für Kommunikation in Ägypten. 

Ägypten ist gerade dabei, sich aus dem britischen Empire zu lösen. Karrefax soll helfen, die „imperiale Kommunikation“, gemeint sind Funksendeanlagen, aufrecht zu erhalten. Stattdessen entdeckt er sein Interesse an altägyptischer Mythologie und steigt in Grabkammern hinab. Das vierte Kapitel heißt „Kammer“. Am Ende bleiben Fieberphantasien, die an Kafkas Gregor Samsa erinnern.

Nach dem Autor kennt wohl der Übersetzer den Roman am besten. Bernhard Robben spricht in einem ZEIT-Interview von „Bedeutungsschichten“ im Roman und meint, dass „K“ „in uns Lesern eine schon fast süchtig machende Lust auf Spurensuche auslösen, Spuren, die zudem über den Roman hinaus auf zahlreiche Schriften der Weltliteratur verweisen, etwa auf Werke von Charles Dickens, Vladimir Nabokov, Ernst Jünger, Filippo Tommaso Marinetti, Martin Heidegger, George Bataille, Sigmund Freud, Franz Kafka, E. M. Forster, Ovid, James Joyce, Sophokles, Friedrich Hölderlin, die Bibel und viele mehr.“ Ähnlich äußert er sich übrigens auch im Nachwort.

Natürlich entdeckt man die ein oder andere literarische Anspielung - siehe meine Anmerkungen zu Mann, Jünger und Kafka. Aber Suchtpotenzial? Dass ist wohl übertrieben. Mein Leseerlebnis war nämlich ein ganz anderes. Wenn es mal spannend wurde, die Handlung vorankam und der Protagonist zu einer lebendigen Person wurde, dann stoppt der Autor den Lesefluss abrupt. Sich über viele Seiten hinziehende, äußerst langatmige Beschreibungen eines Historienspiels oder einer Séance, ausführliche, fast wissenschaftliche Abhandlungen zur Funktechnologie und zur Ortung deutscher Artilleriestellungen, detaillierte Berichte zur politischen Situation des Nahen Ostens und ausführliche Schilderungen des altägyptischen Pantheons … da muss man sich als Leser erst mal durchquälen. Andererseits sind der Wissensfundus des Autors sowie seine sprachliche und erzählerische Kompetenz, insbesondere auch die des Übersetzers, wirklich anerkennenswert.

Zurück zur Ausgangsfrage: K wie kurzweilig? Nein, auf gar keinen Fall! Langweilig fängt zwar nicht mit dem Buchstaben K an, aber trifft es eher.


Tom McCarthy: K
aus dem Englischen von Bernhard Robben
Verlag DVA Belletristik 2012
480 S.
ISBN: 978-3-421-04489-1
24,99 Euro

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