Freitag, 5. Juli 2013

Offen, ehrlich und schonungslos: "1948" von Yoram Kaniuk

Einer der erfolgreichsten israelischen Autoren, Yoram Kaniuk (gestorben am 8.Juni 2013), hat mehr als sechzig Jahre nach Ende des israelischen Unabhängigkeitskrieg von 1948 seine Kriegserinnerungen zu Papier gebracht. Der bereits schwerkranke Yoram Kaniuk versuchte erfolgreich nach einer Nahtoderfahrung, die Gefühlswelt des unbedarften Siebzehnjährigen wieder entstehen zu lassen.



Yoram Kaniuk schloss sich 1948 dem paramilitärischen Palmach an, um Holocaustüberlebenden zu helfen, an Land zu kommen. Nicht ungefährlich, denn die britische Mandatsregierung wollte die jüdische Einwanderung - auch mit Waffengewalt - verhindern. Einige radikale jüdische Splittergruppen lieferten sich sogar einen blutigen Guerillakrieg mit der britischen Mandatsmacht.

Am 14. Mai 1948 lief das britische Mandat aus, und Ben Gurion erklärte die Unabhängigkeit Israels. Noch in der Nacht vom 14. Auf den 15. Mai fielen die Armeen der arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Transjordanien, Syrien, Libanon und Irak über der neuen israelischen Staat her.

Und plötzlich war der Siebzehnjährige, dem das politische Bewusstsein für die Bedeutung der Staatsgründung allerdings völlig fehlte, Soldat: "Wir waren wie Kinder, geradezu unverschämt jung, hatten uns freiwillig gemeldet. Einfaltspinsel waren wir, Partisanen."

In der Nachbetrachtung nennt der Autor diesen Krieg einen "Kinderkreuzzug". Junge Männer, direkt von der Schulbank kommend, fast noch Kinder, die miserabel bewaffnet und ausgebildet waren, lieferten sich plötzlich Gefechte mit arabischen Armeen und Milizen. Schonungslos offenbart Yoram Kaniuk die von beiden Seiten verübten Gräueltaten.

Der Palmach zahlte einen hohen Blutzoll. Kampfunerfahrene Kommandeure ließen sich auf blutige, sinnlose Gemetzel ein. Besonders beeindruckend empfand ich die Beschreibung der Eroberung einer arabischen Stadt und der anschließenden Vertreibung der arabischen Bevölkerung, die bereits der Siebzehnjährige als Unrecht empfand. Dann übernahmen Holcaustüberlebende aus Europa die Stadt. Ganz selbstverständlich, ohne Skrupel besetzten sie das fremde Eigentum. Nach Deportation und Konzentrationslager sahen sie dies als eine Art Entschädigung für ihr Leiden. Der Siebzehnjährige ist in seinem Werturteil genauso ambivalent wie der Leser.

Der Krieg wird immer aus der Perspektive des Kämpfenden erzählt. Schonungslos offen wird dem Leser nichts erspart. Verstümmelte Leichen, abgestumpfte Kindersoldaten … es gibt keine heroischen Verklärungen. Der Autor benennt auch deutlich das Unrecht, das den arabischen Einwohnern zugefügt wurde. Mit seinen Kriegserinnerungen stellt sich der Autor offensiv gegen den Gründungsmythos des Staates Israel.

Ein schonungsloses Buch, das hilft, den Nahostkonflikt besser zu verstehen. Eine Lektüre, die ich nur empfehlen kann.


Kaniuk, Yoram
1948
Aufbau Verlag 2013
248 Seiten
ISBN 978-3-351-03523-5
19,99 €

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