Roger Casement, der Held von Llosas Roman, wurde 1864 als Sohn einer wohlhabenden protestantischen Familie in der Nähe von Dublin geboren. 1883 unternahm er seine erste Reise nach Afrika. Dort war er für ein Institut des belgischen Königs Leopold II. tätig.
Im Kongo lernte er den Afrikareisenden Henry Morton Stanley sowie Joseph Conrad kennen. 1892 wurde er britischer Diplomat und kehrte dann in den Kongo zurück, um einen Bericht zu verfassen, der drastisch die katastrophalen Zustände im Kongo schilderte. Zu dieser Zeit lernte er auch den Journalisten Edmund Dene Morel kennen, der die Congo Reform Association gründete, die humanitäre Hilfe für die geknechteten Afrikaner im Kongo leistete. 1911 wurde Roger Casement für sein Wirken geadelt und erhielt den Titel Knight Commander of St. Michael and St. George.
1910 schickte die britische Regierung Roger Casement ins peruanische Amazonasgebiet, um zu klären, ob das britisch-peruanische Kautschuk-Unternehmen des Julio Arana tatsächlich Massaker an der indianischen Bevölkerung verübte. Casement machte die grausamen Vorgänge publik und erreichte, dass Aranas Unternehmen geschlossen wurde.


1912 quittierte er schließlich den diplomatischen Dienst. Im Anschluss wurde er Mitglied der paramilitärischen Irish Volunteers, welche die irische Unabhängigkeit forderten. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges reiste er über die USA nach Deutschland, um deutsche Hilfe für Ireland zu organisieren. Sein Plan, eine Freiwilligenbrigade aus irischen Kriegsgefangenen zu rekrutieren, scheiterte jedoch.
Im Kriegsjahr 1916 kehrte er an Bord eines deutschen U-Bootes nach Irland zurück und wurde gleich nach der Landung verhaftet. Am Ostermontag, dem 24. April 1916, begann der irische Osteraufstand, der von den Briten blutig niedergeschlagen wurde. Roger Casement wurde wegen Hochverrats zum Tod verurteilt und am 3. August 1916 hingerichtet.
Im Nachwort zählt der Autor die besuchten Archive in Deutschland, Belgien, Peru, Irland, den USA und im Kongo auf. Der historische Hintergrund scheint sehr gut recherchiert zu sein.
Der Roman beginnt in der Todeszelle des Pentonville Prison. Roger Casement geht in sich, zieht seine persönliche Lebensbilanz und erkennt Irrtümer und Fehler. Die Kapitel beschreiben abwechselnd das innere Resümee des Roger Casement in der Gefängniszelle und seinen biographischen Werdegang im Kongo, Amazonien und Deutschland.
Anfänglich ist er noch ein Anhänger der Kolonisation, da er hier eine zivilisatorische Zielsetzung zu erkennen meint, die die Eingeborenen aus ihrem Elend und ihrer Unvernunft führt. Doch bald sieht er ein, dass die weißen Herren nur von der Profitgier angetrieben werden, und wird zu einem Feind dieses Systems der Ausbeutung. Erstaunlich ist nur, dass er so wie er anfänglich die Beweggründe des belgischen Königs Leopold II. falsch einschätzt später an die Unterstützung der irischen Sache durch die Deutschen glaubt.
Der Autor lässt hier einen Mann erscheinen, der trotz seiner ungeheuren Lebenserfahrung einem teilweisen naiven Idealismus anhängt und eben den „Traum des Kelten“ träumt.
Das Auspeitschen, das Abhacken von Händen, Füßen und Geschlechtsteilen, das Vergewaltigen, das Verschleppen von Kindern, das Foltern, die grausame Tötung von Eingeborenen – es ist im Kongo genau das gleiche wie in Amazonien. Aus Profitgier gehen die europäischen Herren über Leichen und haben noch nicht einmal Gewissensbisse. Im Detail beschreibt der Autor das entsetzliche Grauen und die ungeheuren Leiden der Eingeborenen. Die Zustände in Afrika und in Südamerika sind so ähnlich, dass sich die Schilderungen allerdings wiederholen.
Im Urwald des Amazonas-Gebietes kommt Roger Casement zu einer folgenschweren Schlussfolgerung: „Ich bin zu der absoluten Überzeugung gelangt, dass die Eingeborenen … ihrem Elend einzig dadurch ein Ende bereiten können, indem sie eine bewaffnete Erhebung gegen ihre Herrn durchführen. … Wir Iren sind … [k]olonisiert und ausgebeutet, und das bis in alle Ewigkeit, sofern wir weiter die Gesetze, Institutionen und Regierungen Englands hinnehmen. … Warum sollte das Imperium, das uns kolonisiert, uns die Freiheit schenken, wenn es nicht gewaltig unter Druck gesetzt und dazu gezwungen wird? Und solchen Druck können nur Waffen erzeugen.“
Im dritten Teil des Romans, mit „Irland“ überschrieben, quittiert Roger Casement den diplomatischen Dienst aus Gesundheitsgründen. Reist kreuz und quer über die irische Insel und wird zum radikalen Nationalisten. Er hält Vorträge, geht in die USA, um Geld für die Unabhängigkeitsbewegung zu sammeln und reist bei Kriegsausbruch nach Deutschland, um sich mit dem Feind Englands zu verbünden. Und hier beginnt das große Scheitern: Es gelingt ihm nicht, mehr als 50 irische Freiwillige unter den britischen Kriegsgefangenen anzuwerben, und die Deutschen halten ihre Unterstützungszusagen nur bedingt ein. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich rapide. Und als die Radikalen auch ohne deutsche Unterstützung einen Aufstand durchführen wollen, reist er auf einem deutschen U-Boot in seine Heimat, um das sicher erwartete Blutbad zu verhindern. Auch das gelingt ihm nicht.
Sein jugendlicher, norwegischer Geliebter wird obendrein von den Deutschen als britischer Spion enttarnt. Ausgerechnet die einzige Liebe seines Lebens, eine herbe Enttäuschung für Roger Casement. Bis dahin hatte er lediglich flüchtige, rein sexuelle Affären, nur dieses eine Mal war Liebe im Spiel. Und da sind wir dann bei einem
sehr intimen Thema angelangt, das besonders in Roger Casements Tagebüchern zum Ausdruck kommt, die der britische Geheimdienst erfolgreich einsetzte, um ihn zu diffamieren. „Er, der formvollendete, eloquente Roger Casement, wurde bei seinen Tagebucheinträgen immer wieder von dem Drang überwältigt, die derbsten Obszönitäten zu Papier zu bringen.“ Diese „dunkle Aura der Homosexualität“ sorgte dafür, dass Roger Casement im erzkatholischen Irland viele Jahrzehnte nicht anerkannt wurde. Mario Vargas Llosa hat den persönlichen Eindruck, so schreibt er im Epilog, dass „Roger Casement diese berüchtigten Tagebücher zwar schrieb, aber das Geschriebene nicht gelebt hat, zumindest nicht alles …“ Egal, das ändert rein gar nichts an Roger Casements Einsatz für die indigenen Völker im Kongo und in Peru.
Sein Übertritt zum Katholizismus und sein irischer Nationalismus sind für einen deutschen Leser deutlich schwieriger nachzuvollziehen als seine humanitäre Grundhaltung. Aber auch das gehört zum
Gesamtbild, das Mario Vargas Llosa von seinem „Helden“ sehr detailliert und auch liebevoll zeichnet. Man merkt, hier ist sehr viel Sympathie mit im Spiel.
Im Jahr 1965 wurden die sterblichen Überreste Roger Casements nach Irland überführt und eine „auf mehrere hunderttausend Menschen geschätzte Menge“ zog an seinem Sarg vorbei, um ihn zu ehren.
Mario Vargas Llosa
Der Traum des Kelten
447 Seiten
Suhrkamp Verlag 2011
ISBN-10: 3518422707
ISBN-13: 978-351842270024,90 EURO