Lange Haare, freie Liebe, Dope, Kalifornien, Nirvana, Easy Rider … schon auf den ersten Seiten zählt T.C.Boyle alles auf, was von der Hippieära den meisten im Gedächtnis geblieben ist.
, führte, bevor sie nach Drop City kam, eine bürgerliche Existenz als Lehrerin. Eines Tages brennt sie mit ihrem Schulfreund
nennt und heroinabhängig ist, nach Kalifornien durch. In Drop City findet Star „ein Leben in Frieden und Gelassenheit, … keine Verstellung, keine Spielchen, keine Plastikbegierde auf der Jagd nach dem Dollar.“ (S.21)
Allerdings lässt sie sich von Pan, den sie nicht liebt, manipulieren und zu sexuellen Handlungen zwingen, die sie eigentlich nicht will. Pan ist ein zorniger, aufbrausender junger Mann, der nicht eher ruht, als bis er seinen Willen durchgesetzt hat. Es genügt, dass er ihr Spießertum vorwirft, schon gibt Star ihm nach. Bald erscheint jedoch
Marco auf der Bildfläche, der wegen eines geringfügigen Deliktes auf der Flucht ist. In ihn verliebt sich Star.
Norm ist der Gründer und Übervater von Drop City. Er hat die Kommune auf dem Farmgelände seiner bei einem Unfall umgekommenen Eltern gegründet und heißt jeden in Drop City willkommen. D.h. bald hat Drop City mehr Einwohner als es verträgt. Zudem, das Paradies ist diese Hippiekommune nicht. Immer wieder finden sich Menschen ein, die parasitär von der Arbeit der anderen Leben.
Die Kommune hat ein ganz gewöhnliches, aber dennoch großes Problem: zu wenige Sickergruben für viel zu viele Bewohner. Und kaum einer der Bewohner ist bereit, beim Latrinenbau zu helfen. Es gibt auch brutalste Gewalt in Drop City: Eines Tages wird ein minderjähriges Mädchen gleich von mehreren Männern vergewaltigt. Als Pan Einhalt gebieten will, blickt er in Augen, „in denen nicht der kleinste brüderliche oder auch nur menschliche Funke“ liegt. (S.44) Es gelingt nicht, die Vergewaltiger zur Rechenschaft zu ziehen. Dann sterben beinahe zwei Kinder, weil man ihnen LSD-versetzten Orangensaft gibt.
Absolute Freiheit geht einher mit Verantwortungslosigkeit und der Unfähigkeit, Kriminelle zur Rechenschaft zu ziehen. Auch Ausbeutung findet in der Kommune statt. Insbesondere die Frauen, „Bräute“ genannt von den Männern, die sich selbst als „Freaks“ bezeichnen, werden sowohl sexuell als auch hinsichtlich des Arbeitseinsatzes für die Gemeinschaft ausgebeutet. Boyle zeichnet zwar ein liebevolles, aber auch realistisches, wenig sympathisches Bild dieser Lebensweise.
Um was geht es der Kommune und ihren Bewohnern?
Es geht um den Ausstieg aus dem Mainstream-Leben der Plastikgesellschaft und die Ablehnung des Krieges. Die Ideologie des konventionellen Amerikas wird folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Kaufen, kaufen, kaufen, töten, töten, töten, essen, essen, essen.“ (S.58)
Als die Behörden nach zahlreichen Warnungen und Mahnungen beschließen, die (hygienischen) Missstände zu beenden und die Kommune räumen, beschließt Norm, Nord Drop City zu gründen. Und zwar in Alaska, denn dort kann er die Blockhütte seines Onkels übernehmen: „Keine Vorschriften […], keine Bauverordnungen, keine Steuer, keine Behördenschnüffler, keine Erlässe.“ (S.222) Die meisten kann er überzeugen, und los geht es nach Alaska in einem ausrangierten Schulbus.
Zur gleichen Zeit (und unweit der Hütte von Norms Onkel) lebt
Sess Harder als Trapper in der Wildnis Alaskas in einem Blockhaus. Seine erste Frau war dem harten Einsiedlerleben nicht gewachsen und hat ihn verlassen. Über eine Kontaktanzeige lernt er die attraktive
Pamela, 27 Jahre alt, kennen, in die er sich unsterblich verliebt. Pamela will weg von ihrem langweiligen 8-Stunden-Job und zurück zur Natur, und zwar für immer. Auch Sess hat eine eindeutige Motivation für sein Leben in der Natur: „Die Gesellschaft geht total vor die Hunde, ständig Morde, Drogen unter Schulkindern, Hippies.“ (S.117)
Dem Trapper und den Hippies geht es um dasselbe Ideal: Leben in und von der Natur, weit weg vom seelenlosen Mainstream. So sagt Pamela im Gespräch mit Starr, mit der sie sich anfreundet: „Weißt Du, was zurück zur Natur für mich heißt? Genau das hier: von einem Tag zum anderen leben, hart arbeiten und sich das holen, was das Land einem zu geben hat, aber das hat doch nichts zu tun mit bunt angemalten Gesichtern oder LSD oder Schlaghosen.“ (S.396) Dasselbe Ziel, aber die Umsetzungsentwürfe von diesem naturnahen Leben können unterschiedlicher nicht sein. Es ist ein ähnlicher Dualismus, wie ihn Boyle Jahre später in „Wenn das Schlachten vorbei ist“ beschreibt. Dort geht es um Tierschützer gegen Umweltschützer.
Trotz Sess´ und Pamelas Ablehnung der Hippie-Kultur unterstützt Sess die Kommune, zumal ihn mit Norms Onkel eine tiefe Freundschaft verband. Pan entwickelt sich derweil zum Trapper-Hippie, der die Nähe von Sess sucht, um von ihm zu lernen. Er wird zum Haupternährer der Kommune. Aber auch hier gibt es eine parallele Entwicklung, wie im Beziehungsgeflecht Star, Pan und Marco: Bald übernimmt Marco, der ja bereits Pans Platz bei Star eingenommen hat, auch Pans Rolle bei Sess. Marco und Sess fahren mit dem Hundeschlitten die Fallenstrecke ab, Marco lernt alles über das Überleben in der Wildnis.
Die Kommune muss hart arbeiten, um Drop City Nord auf den kommenden Winter vorzubereiten: Blockhäuser bauen, Holz- und Nahrungsmittelvorräte anlegen. Langsam zerfällt die Gemeinschaft unter dieser stetigen Anspannung.
Ein Teil der Hippies ist im benachbarten, aber immerhin drei Kanustunden entfernten Ort Boynton geblieben und wohnt im Schulbus. Bald gibt es Auseinandersetzungen mit den Nachbarn. Selbst der Gründer von Drop City verlässt die Gemeinschaft und kehrt zurück nach Kalifornien. Pan und zwei weitere Männer ziehen, nachdem es in Kommune zum Streit gekommen ist, zu einem Trapper namens Joe Bosky, dem Erzfeind von Sess.
Die eskalierende Gewalt zwischen Sess und Joe ist ein weiterer Handlungsstrang des Romans.
Pan hat sich für die böse Seite entscheiden. Sein (neuer) Freund Joe hat das Trapperleben schon lange aufgegeben. Er ist hinter dem schnellen Geld her, indem er vom Flugzeug aus gnadenlos Wölfe abschießt und Alkohol an die Urbevölkerung, die Eskimos, verkauft. Eindrucksvoll schildert Boyle, was aus den einst stolzen Inuit geworden ist: elende Säufer in heruntergekommenen Behausungen, die von Sozialleistungen leben.
Mit zunehmender Kälte kühlt auch das Gemeinschaftsgefühl in der Kommune immer weiter ab. Am Schluss ritzen alle ihre Initialen in die Teller. Das ist das Ende des Gemeinschaftseigentums und sinnbildlich das Ende der Kommune. Habgier, Misstrauen und Streitereien um Nichtigkeiten treten an die Stelle der Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern.
Ein sehr gekonnter, nie langweiliger oder gar zu ausschweifender Erzählstil kennzeichnen die 583 Seiten. Boyle wechselt häufig die Perspektiven und erzählt ein- und dieselbe Begebenheit gerne aus mehr als einem Blickwinkel. Star, Marco, Ronnie, Sess und Pamela sind lebendige Figuren.
Mit einem humorvollen Augenzwinkern und offensichtlicher Sympathie erzählt Boyle die Geschichte des Scheiterns einer Utopie. Er schreckt aber auch nicht zurück, harte Wahrheiten darzustellen. Die ganze Heuchelei, insbesondere hinsichtlich der Unterdrückung der Frauen, und auch die offene und latente Gewaltbereitschaft werden beschrieben.
Das „Zurück zur Natur“ ist für T.C. Boyle ein positives Grundprinzip, nur der Weg dorthin kann eine Gemeinschaft mit inneren Widersprüchen nicht bewältigen.
Kurzum: Drop City ist ein unterhaltender und nie langweiliges Ausflug in die 70er Jahre. Sehr empfehlenswert!
Weitere Rezension zu T.C.Boyle: Wenn das Schlachten vorbei ist und Dr.Sex
Boyle, T. C.
Drop City
583 Seiten
dtv 2009
ISBN 978-3-423-21113-0
EURO 9,95