Donnerstag, 8. November 2012

Bad, bad, bad Britain: Ein plötzlicher Todesfall von J.K. Rowling

„Der plötzliche Todesfall“ ereignet sich bereits auf Seite drei. Barry Fairbrother stirbt auf einem Parkplatz an einem Aneurysma, umgangssprachlich Hirnblutung. Es folgt eine ausführliche Beschreibung der Reaktionen auf den Tod von Fairbrother. Zahlreiche Personen werden eingeführt. Jeder stand in einer anderen Beziehung zum Toten. Der Leser erhält so ein multiperspektivisches Bild des Toten.

Parallel entfalten sich zahlreiche Nebenhandlungen. Die einzelnen Geschichten und deren Protagonisten werden sehr detailliert, fast fotorealistisch geschildert. Es geht z.B. um einen Biedermann, der einen gestohlenen Computer kauft, oder um eine frustrierte Boutiquebesitzerin, die sich mit einem Minderjährigen einlässt.

Sowohl die einzelnen Handlungsstränge als auch die zahlreichen Figuren finden erst nach und nach zueinander. Von Beginn an muss der Leser sehr aufpassen, um sich zurecht zu finden und sich nicht im Beziehungs- und Handlungsgeflecht zu verlieren. In Klammern werden Erläuterungen gesetzt, die den Charakter von Fußnoten haben. Gedankengänge der Protagonisten werden kursiv gesetzt. Da hatte man wohl die Einsicht, dass ansonsten der Durchblick ganz verloren gehen würde.

Eine ähnliche Vielzahl von Protagonisten und Parallelhandlungen findet sich beispielsweise auch in Folletts „Sturz der Titanen“, nur ist dort alles deutlich überschaubarer und nachvollziehbarer konstruiert.

Sozialer Realismus ist das Thema der Autorin. Und es geht heftig zur Sache, von Anfang an: ohne Umschreibungen wird Krystal Weedon als englische Unterschichtenschlampe vorgestellt. Sie ist frühreif und jeglichem sexuellen Abenteuer zugeneigt. Ihre Mutter ist eine heroinsüchtige Prostituierte, so dass sich die Jugendliche um ihren zweijährigen Bruder Robbie kümmern muss. Die Geschichte der Familie Weedon zieht sich als Teil der Haupthandlung durch den gesamten Roman.

Der Spannungsbogen, der die gesamten Haupt- und Nebenaktionen über mehr als 500 Seiten tragen soll, ist der jahrzehntealte Konflikt zwischen dem idyllischen Dorf Pagford und der nahgelegenen Stadt Yarvil, die die Sozialsiedlung Fields gebaut und es verstanden hat, dass Pagford für diese finanziell aufkommen muss. Barry Fairbrother , selbst aus Fields stammend und in Pagford zur Schule gegangen, führte im Gemeinderat die Fraktion an, die für eine Integration Fields eintritt, während der andere Teil des Gemeinderats alles daran setzt, dass Fields wieder in den Verantwortungsbereich Yarvils zurückkehrt. Nach Barry Fairbrothers Tod entsteht ein erbitterter Kampf zwischen den Fraktionen um die Besetzung des freigewordenen Gemeinderatsitzes.

Aber es geht nicht nur um den Sitz im Gemeinderat: Die Menschen in Pagford sind grundsätzlich zerstritten, ja vom Hass aufeinander zerfressen. Ehepartner untereinander, Eltern gegen ihre Kinder … egal, überall herrscht Abneigung und Streit bis hin zur körperlichen Gewalt. Die Autorin scheut sich dabei nicht, die Gewalthandlungen ebenso plastisch darzustellen wie die „Sexszenen“.

Die Jugendlichen, die extrem unter ihren Eltern leiden, sind nicht besser. Die Opfer sind auch Täter und nutzen geschickt das Internet, um die Erwachsenen zu denunzieren. Aber auch Mitschüler werden infam bloßgestellt. Es scheint fast so, als wäre mit Barry Fairbrother, der einzige anständige Mensch in ganz Pagford gestorben.

Am Schluss stehen konsequent zwei Särge in der Mitte der scheinbar idyllischen Gemeinde, umringt von einer Meute von Heuchlern. Der Leser schließt erschrocken das Buch, nachdem er sich durch über 500 Seiten modernes Elend und abgrundtiefe Bosheit gequält hat.

Kurz gesagt:

Der Schreibstil ist allzu detailversessen, die Dialoge sind zu ausufernd, ja nervig. Die Geschichte ist sehr verwirrend geschrieben. Man kann als Leser nur schwer den verschiedenen Handlungssträngen folgen. Alles ist viel zu lang geraten. Und die Botschaft? Alle Menschen sind schlecht … Die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet. Was mag die Autorin bewogen haben, eine solch düstere Kleinstadtwelt zu beschreiben?

Denkt man an die Vorgeschichte der Ankündigung des neuen Romans der weltberühmten Autorin, bleibt folgender Eindruck: Gutes Marketing, schlechtes Produkt. Oder anders formuliert: Viel Lärm um nichts.

Man verpasst nichts, wenn man auf die Lektüre von „Ein plötzlicher Todesfall“ verzichtet.
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Weitere Beiträge auf Bücher und eBooks zum neuen Roman von J.K. Rowling: Ein plötzlicher Todesfall - erste Rezensionen!

Rowling, J.K. 
Ein plötzlicher Todesfall
Carlsen Verlag, September 2012
ISBN-10: 3551588880
ISBN-13: 978-3551588883576 Seiten
24,90 EUR


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