Freitag, 30. November 2012

Buchbesprechung / Rezension: Verwesung von Simon Beckett

Verwesung ist der vierte Thriller aus der David-Hunter-Reihe. Zum ersten Mal erfährt der Leser die genaueren Umstände des Unfalltods von Hunters Familie und lernt den forensischen Anthropologen aus der Nähe kennen.



Das Buch beginnt mit einer Rückblende: Tina Williams und die Bennett-Zwillingen sind verschunden. Jerome Monk wird überrascht, als er einem Mädchen Gewalt antut. Der Außenseiter, sein Äußeres ist so abstoßend, dass keiner Mitleid mit ihm hat, wird solange verhört, bis er alle Morde gesteht. Keinen stört es, dass er nie verrät, wo die Leichen liegen. Alle sind froh, den Fall derart passend abschließen zu können. Schließlich wird im Sumpf von Dartmoor eine Leiche gefunden. Es ist die seit Jahren vermisste Tina Williams.   

Eine Suchaktion nach den anderen Leichen beginnt, bei welcher Monk zu fliehen versucht. Er wird gefasst und alle sind nun restlos von seiner Schuld überzeugt.

Viele Jahre später bricht Jerome Monk aus dem Hochsicherheitsgefängnis aus. Als Leonard Wainwright,  Professor und forensischer Archäologe, stirbt, glaubt man, dass Monk sich nun an allen damals Beteiligten rächen will.

Zusammen mit Terry Connors, der als Polizist an der Dartmoor-Aktion beteiligt war, versucht Hunter, Monk aufzuspüren. Aber nicht nur beruflich ist Hunter mit Connors verbunden, auch privat hatten sich ihre Wege gekreuzt. Einst war Hunter eifersüchtig auf Terry Connors, der seine Frau, die zusammen mit der Tochter bei einem Autounfall umgekommen war, bedrängt hatte, während Hunter in Bosnien Massengräber untersuchte.

Bis zum spektakulären Showdown in der Weite der Sumpflandschaft und den engen Gängen verlassener Minenschächte erzählt Beckett hier eine spannende Geschichte mit einigen Wendungen und einem überraschenden Ende. Viel Spaß bei der Lektüre!

Weitere Rezensionen zu Simon Beckett:
Chemie des Todes
Tiere

Beckett, Simon
Verwesung
rororo 2012
448 Seiten
ISBN-10: 3499248662
ISBN-13: 978-3499248665
EURO 9,99


 


Donnerstag, 29. November 2012

Betaversion der Deutschen Digitalen Bibliothek ist seit dem 28.11.12 online

Die DDB ist das nationale Zugangsportal für Kultur und Wissenschaft in Deutschland. Sie verlinkt die digitalen Angebote der deutschen Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen miteinander und macht sie allgemein zugänglich. Der Nutzer findet in der DDB die digitalisierten Bestände und Erschließungsinformationen aus Bibliotheken, Archiven, Museen, Denkmalämtern, Mediatheken sowie Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen.

Es werden digitale Objekte aus allen Sparten und in allen denkbaren Medienarten (Text, Ton, Bild, Film) angeboten: Bücher, Urkunden und Akten, Gemälde, Statuen, Installationen, Denkmäler, Filme und Musik.

Die Betaversion ist seitdem 28. November 2012 im Internet frei verfügbar, und jeder kann sie nutzen. Das Projekt wird von Bund und Ländern finanziert.

In einem 6-Minuten-Film stellt sich die DDB vor: zum Video. Es gibt auch ein Video-Tutorial zur Umgang mit der Suche: Einfache und erweiterte Suche

Montag, 26. November 2012

Joseph Freiherr von Eichendorff zum 155. Todestag

Der frohe Wandersmann
Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt;
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.
... weiterlesen bei Gutenberg ... 

Eichendorff war einer der bedeutendsten Vertreter der deutschen Romantik, jener gefühlsbetonten Gegenbewegung zur Rationalität und Industrialisierung. Das idealisierte Mittelalter und die mythologisch überhöhte Natur, das waren die Themen der Romantik. Besonders Eichendorffs Gedichte, von Robert Schumann vertont, haben die gängige Vorstellung von der Romantik bis heute geprägt.

Eine ausführliche Biographie Eichendorffs findet sich bei xlibris. Sehr empfehlenswert für alle, die sich intensiv mit dem Thema befassen wollen, ist eine Vorlesungsreihe der Universität Kiel zur Literatur des 19. Jahrhunderts und der Artikel "Literatur der Romantik (1798-1835)" erschienen in  Die ZEIT.

Freitag, 23. November 2012

Josef Wilfing: Heute bei PHOENIX

PHOENIX IM DIALOG mit Josef Wilfling Freitag, 23. November 2012, 24.00 Uhr.

Wiederholung am Sonntag, 25. November 2012, 11.15 Uhr.

Josef Wilfing, war 42 Jahre bei der Münchner Polizei tätig, davon 22 Jahre bei der Mordkommission. Über 100 Mordfälle hat er selbst bearbeitet. Unter anderem war er Ermittler in den Mordfällen Walter Sedlmayr und Rudolph Moshammer.

Ausgehend von den biblischen Todsünden schildert er in seinem Buch „Abgründe - Wenn aus Menschen Mörder werden“ einige besonders drastische Verbrechen, die aus Habgier, Mordlust oder Wollust begangen wurden.

Hier geht es zur Rezension von Abgründe auf Bücher und eBooks ...

Wilfling , Josef:
Abgründe
Wenn aus Menschen Mördern werden
Heyne-Verlag 2010
Kindle Edition
ASIN: B004P1JB9Q

Buchbesprechung / Rezension: Schneemann von Jo Nesbø

Nur Harry Hole erkennt, dass es sich beim Verschwinden von jungen Müttern um die Taten eines Serienmörders handelt. Es sind einfach zu viele, die spurlos verschwinden, und zwar immer mit dem Wintereinbruch. Die Leichen sind weg, aber an den Tatorten findet sich immer ein Schneemann, so dass der Serienmörder schnell seinen Namen bekommt.


Das erste Opfer des Killers war dessen eigene Mutter, die er für seine tödliche Erbkrankheit verantwortlich macht. Die Morde an den anderen Frauen sind lediglich eine grausame Wiederholung des ersten Mordes. Zum Ende des Buches, kurz vor der rasanten, finalen Auseinandersetzung zwischen Mörder und Polizist, offenbart Nesbo detailliert und nachvollziehbar das Innenleben des intelligenten Mörders. Dieser entwickelt im Laufe der Zeit einen immer größeren Sadismus. Seine Taten werden fortlaufend grausamer und nehmen zugleich (im Sinne des Unentdecktbleibens) immer professionellere Züge an.

Jo Nesbo wurde einmal gefragt, welche grausame Tötungsart er in seinen Krimis favorisiert. Seine Antwort war: „Mein Favorit ist immer die Methode, die ich mir gerade ausdenke. Ich versuche mir immer neue Arten einfallen zu lassen. Amputationen finde ich gerade zum Beispiel sehr interessant. Eigentlich habe ich keinen Folter-Favoriten, Hauptsache abgeschnittene Körperteile sind dabei.“ (zum Interview) Abgeschnittene Körperteile gibt es im Schneemann genug.

Nesbo führt den Leser von Spur zu Spur, von Verdächtigem zu Verdächtigem. Der Spannungsbogen bleibt stets erhalten, es kommt keine Langeweile auf, dafür sorgen die zahlreichen überraschenden Wendungen, die Nesbo gekonnt eingewoben hat. Was wird als nächstes Geschehen? Ist das jetzt der Mörder oder wieder eine falsche Spur? Da gerät z.B. der Schönheitschirurg Idar Vetlesen, bei dem alle Opfer in Behandlung waren, in Verdacht, aber der wird selbst ermordet. Seine Ermittlungen führen Harry und seine Assistentin Katrine nach Bergen, wo ebenfalls Morde stattgefunden haben. Die beiden finden die grausam zugerichtete Leiche des verschwundenen Polizisten Gert Rafto, der ebenfalls diese mysteriösen Fälle untersucht hatte.

Neben der Suche nach dem Serienmörder spielt auch Harrys Privatleben eine Rolle. Insbesondere die Beziehung zu seiner Ex-Freundin Rakel, die inzwischen mit dem Arzt Mathias liiert ist, sich aber immer noch mit Harry trifft und auch eine Verhältnis mit ihm anfängt. Auch ist der ständige Kampf mit seiner Alkoholsucht ein stetig wiederkehrendes Thema.

Auch der Zeitungsverleger Arve Støp wird verdächtigt, da er sexuelle Beziehungen zu mehreren Opfern unterhielt. Katrine, Harrys Assistentin und wie sich später herausstellt Raftos Tochter, will dem Zeitungsverleger mit Gewalt ein Geständnis entlocken und Selbstjustiz verüben. Harry vereitelt diese Tat, seine Assistentin landet in der Psychiatrie. Alleine aus dieser Teilgeschichte hätte man eine guten Krimi machen können.

Als Harry durch Zufall herausfindet, dass die Leichen der Opfer in der Pathologie „entsorgt“ werden, kommt er dem tatsächlichen Täter nahe, gefährlich nahe. Seine Ex-Freundin Rakel und deren Sohn geraten in Lebensgefahr. Es kommt zu einem grandiosen Showdown, zu einem Kampf auf Leben und Tod.

Wer eine spannende, kurzweilige Lektüre sucht, der sollte Nesbos Schneemann unbedingt lesen.

Übrigens, Martin Scorsese arbeite bereits an der Verfilmung des "Snowman". Das kann nur ein spannender Film werden.

Zu weiteren  Rezensionen von  Jo Nesbo auf Bücher und eBooks:

Kakerlaken, Die Larve und Headhunter

Nesbo, Jo
Schneemann
Ullstein Taschenbuch 2009
496 Seiten
ISBN-10: 3548281230
ISBN-13: 978-3548281230
EURO 9,95



Mittwoch, 21. November 2012

GASTBEITRAG von Carsten Behrendt: Tauben fliegen auf - Melinda Nadj Abonji

Sätze, so lang wie ein Gedanke eben dauert.

Dieses Buch genießt man am besten in kleinen Häppchen. So ungefähr lautet ein Satz, den ich am Ende des Buches gelesen habe. Es handelte sich dabei aber um ein Werbezitat für ein anderes Buch und trotzdem trifft diese Aussage auch auf „Tauben fliegen auf“ von Melinda Nadja Abonji zu. Man muss noch konkreter werden, dieses Buch genießt man Satz für Satz. Wobei ein Satz oft über eine ganze Seite geht und man nach jedem Satz sich erst einmal Zeit zum Durchatmen gönnen muss.

Abonji packt so viele verschiedene Gedanken, Gefühle und Beschreibungen in nur einen Satz, dass man diese erst sortieren muss. Die Gedanken in einem Satz schweifen ab, vermischen Gegenwart und Vergangenheit und nehmen noch so einige Eindrücke der Umwelt mit. Wie das Gehirn, das so viele Einflüsse auf einmal verarbeiten und dann die wichtigsten herausfiltert. Klinkt jetzt kompliziert, ist es aber nicht. Trotz der ganzen Schachtelsätze ist das Folgen der Geschichte nicht nur Literaturprofessoren möglich. Es liest sich gut und flüssig, man muss sich nur auf die Erzählweise einlassen, und es ist sehr interessant, wie viel man mit nur einem Satz aussagen kann.

Um es auf den Punkt zu bringen, das Buch fordert einen, es überfordert aber nicht. Wer sich auf dieses Buch einlässt, wird belohnt mit einem großartig erzählten und halb autobiografischen Roman um die Familie Kocsis.




Auf 310 Seiten und ungefähr genauso vielen Sätzen (o.k. es sind doch ein paar mehr) wird aus dem Leben von Ildiko erzählt, die als Kind in den 80er Jahren aus Jugoslawien in die Schweiz auswandert, oder besser gesagt, aufgrund der Familienzusammenführung zu ihren Eltern in die Schweiz kommt. Seit ihrer späten Kindheit wächst sie in der Schweiz auf, einem für sie fremden Land. Sie fühlt sich selbstverständlich immer noch stark zu ihren Wurzeln in Jugoslawien verbunden und vermisst den Rest der Familie - ihre Mamika, ihre Tanten und Onkels.

Ildiko freut sich immer wieder in den Ferien in ihr Dorf in der Vojvodina, im Norden von Serbien, wo eine ungarische Minderheit wohnt, zurückzukehren. Einem Ort, in dem ihr alles so vertraut vorkommt und sich nichts zu ändern scheint, also einen Ort, der ihr Sicherheit und Geborgenheit gibt. Anfang der 90er eröffnen ihre Eltern in der Schweiz ein Café, das Mondial. Der Ort und die Arbeitsstätte, mit der die Familie versucht, sich der Schweiz anzupassen und nicht als Ausländer aufzufallen (obwohl die gesamte Familie schon längst eingebürgert wurde). Die Schweiz ist für sie mittlerweile ein sicherer Ort geworden, da in ihrer alten Heimat Krieg ausgebrochen ist. Die Angst, über den Rest der Familie, wie z. B. den eingezogenen Cousin, mischt sich mit der Angst, in der neuen Heimat nicht willkommen zu sein und sich möglichst gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit passiv zu verhalten.

Auf sehr eindrucksvolle Art und Weise beschreibt Abonji das Leben zwischen zwei Welten sowie die Angst und Zerrissenheit dazwischen. Jeder dieser langen Sätze macht dies deutlich und zeichnet ein detailliertes Bild der inneren Gefühlswelt von Ildiko und spiegelt sehr gut das damalige Zeitgeschehen in der Schweiz wider. Genau das, was zeitgenössische Literatur leisten soll. Man feiert auf Familienfeiern mit, die immer wieder nach zu viel Alkohol in politische Streitgespräche enden, und spürt die Hilflosigkeit und Angst um die Familie in der Kriegsregion.

Für dieses Buch gab es meiner Meinung nach zurecht 2010 den Deutschen Literaturpreis, der als Gradmesser für den aktuellen Stand in der deutschen Literaturlandschaft gilt. Und um am Ende noch ein paar Klischees zu erfüllen, hier noch ein Tipp: Gerade jetzt, wo es früher dunkel wird und man gerne mal ein Buch zur Hand nimmt, ist dieses Buch sehr zu empfehlen. Mit einem Glas Rotwein vor dem Kamin oder auf dem Sofa mit einem Tee. Oder einfach mal so lesen, weil man mal was anderes als einen Krimi lesen möchte. Aber ruhig Häppchenweise genießen und immer wieder Zeit nehmen, um durchzuatmen und zu reflektieren, was man gerade gelesen hat. Denn wer zu schnell liest, kann die Tauben aufscheuchen und die fliegen auf.


Abonji, Melinda Nadj
Tauben fliegen auf
314 Seiten
Salzburg,  Jung und Jung Verlag 2010
ISBN-10: 3902497785
ISBN-13: 978-3902497789
EURO 22,00


(Dieses Buch war 2012 nominiert für den Deutschen Literaturpreis: Sand, von Wolfgang Herrendorf .)

Carsten Behrendt, Mülheim an der Ruhr, im November 2012 

Der bloggende Taxifahrer aus Mahrzahn - lesenswert!


Sascha Bors ist Taxifahrer und wohnt im Berliner Stadtteil Marzahn. Seit August 2010 betreibt er sein Blog GNIT "gestern-nacht-im-taxi.de".

Ein Blog, über den der Autor selbst schreibt, dass man hier "allerlei Kurioses, Unterhaltsames und Informatives aus dem Leben und Wirken eines Berliner Taxifahrers erfährt."

Diese Aussage kann ich nur bestätigen. Hier eine kleine Kostprobe:
"Pärchen. Im Grunde ist es unverständlich, wieso sich Menschen paarweise zusammenrotten, stets darum bemüht, mit dem Partner in möglichst vielen Punkten uneinig zu sein. Das Pärchen, das zu mir ins Auto gefunden hatte, musste jedenfalls irgendwie ganz großartigen Sex haben oder in finanzieller Weise voneinander profitieren, denn sonst schienen sie nicht sonderlich gut zueinander zu passen. Er ein eher schüchterner Typ mit Zufallsfrisur und Dreitagebart, sie hochgestylt bis zum Level Barbie+ und mit einem Befehlston auf den Lippen, der wahrscheinlich Flugzeuge vom Himmel holen könnte."
Einfach mal selbst reinschauen und allerlei interessante Berliner Taxi-Geschichten lesen. Immerhin hat GNIT beim User-Voting der Deutsche Welle Blog Awards in der Kategorie "Best Blog German" einen beachtlichen zweiten Platz geschafft..

Freitag, 16. November 2012

Kennen Sie die Petition 37573?

Bei der Petition 37573 geht es darum, dass für eBooks der reduzierte Steuersatz für gedruckte Bücher gelten soll. 

Die Petition im Wortlaut:
"Der Bundestag möge beschließen, dass eBooks mit dem gleichen Mehrwertsteuersatz besteuert werden wie gedruckte Bücher, d.h. mit 7%.
Begründung
Für gedruckte Bücher gilt der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 7%, da Bücher als Kulturgut gelten, das allen Bevölkerungsschichten zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung stehen sollte. Da dies in gleichem Maße auch auf eBooks zutrifft, sollte für elektronische Bücher der gleiche Steuersatz gelten. Des weiteren sollten Menschen mit einer Sehschwäche, die auf eBooks wegen der Möglichkeit der Schriftvergrößerung angewiesen sind, nicht steuerlich benachteiligt werden."
Wenn der Petent für sein Anliegen innerhalb von vier Wochen 50.000 Unterstützer gewinnt, kann er sein Anliegen mit den Abgeordneten in einer öffentlichen Sitzung vom Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages diskutieren. Registrierte Nutzer des Petitionsportals können die Petition elektronisch mitzeichnen.

Wer für die reduzierte Mehrwertsteuer für eBooks ist kann sich hier registrieren und die Petition mitzeichnen: Petitionsportal des Dt. Bundestages

Harry Holes 9. (und letzter???) Fall: Die Larve von Jo Nesbo

Harry Hole lebt in Hongkong, hat den Polizeidienst quittiert und arbeitet als Geldeintreiber. Dann erfährt er, dass Oleg, der Sohn seiner Exfreundin Rakel, seinen Freund Gusto Hansen erschossen haben soll. Beide verbindet eine bewegte Vergangenheit als Drogendealer und -konsumenten. Harry glaubt an Olegs Unschuld und kehrt nach Oslo zurück, um Rakel und ihrem Sohn beizustehen.



Nesbo bietet alles auf, was einen Krimi spannend macht: Korrupte Politiker und Polizisten, die mit der Drogenmafia zusammenarbeiten, eine nächtliche Graböffnung, mehrere Anschläge auf Harrys Leben, falsche Fährten und rasante Wendungen, eine Entführung, mehrere Morde, bis ins Detail gut skizzierte Figuren, atemberaubende Action …

Das Rauhbein Harry zeigt sich in "Die Larve" von seiner menschlichen Seite: Er liebt Rakel immer noch und sieht sich als Vater von Oleg.

Es gibt zwei Erzählebenen, die sich abwechseln: Der auktoriale Erzähler schildert die aktuelle Ermittlungen des ehemaligen Polizisten. Das Mordopfer Gusto Hanssen berichtet aus seiner Sicht die Umstände und Hintergründe, die zu seiner Ermordung führten.

Die Geschichte ist schlüssig konstruiert, spannend und das Lesevergnügen enorm. Am Schluss erwartet den Leser eine sehr überraschende Wendung.

Weitere Besprechungen in Bücher und eBooks zu Jo Nesbo:

Headhunter

Kakerlaken

Nesbø, Jo
Die Larve: Harry Holes neunter Fall
576 Seiten
Ullstein 2012
ISBN-10: 3548284930
ISBN-13: 978-3548284934
EURO 10,99




Sonntag, 11. November 2012

Gefährliche Entwicklungen von Andreas Schneider

Worum geht es im Buch?
Das Buch handelt von zwei minderjährigen Straftätern. Der eine ersticht im Blutrausch seine Lehrerin („Erst jetzt wird mir bewusst, was wirklich geschehen ist. Es war kein Computerspiel! Es ist real! Der vordere Bereich des Raumes, direkt vor der Tafel, ist rot. Blutspritzer bis hinauf zur Decke! Was habe ich nur getan? Wie war es möglich gewesen …"), der andere erschlägt einen Mann in einer S-Bahn-Station.

Beide haben eine lebenslängliche Haftstrafe zu verbüßen und müssen lernen, sich gegenseitig zu unterstützen. Nach achtzehn Jahren werden sie endlich entlassen. Ein neues Abenteuer beginnt. Während Thomas kämpft, um ein in ein normales Leben zurück zu kehren, stürzt Robert ab. Es kommt unweigerlich zur Katastrophe ...



Woher kommt die Idee zur Handlung?
Die Idee stammt von der Presse, von den Medien, den Meldungen, die uns jeden Tag umgeben. Wie oft haben wir schon von Schulmassakern gelesen oder gehört, Wie oft von Schlägereien mit Todesfolge?

Warum „Gefährliche Entwicklungen"?
Es gibt mehrere Handlungsstränge. Zum einen ist da Thomas, der mit seinem Leben nicht zurecht kommt, von seiner Lehrerin als hoffnungsloser Fall abgestempelt wird. Irgendwann ist seine innere Wut so groß, dass er auf sie losgeht. Dann gibt es noch Robert, den wir zum Zeitpunkt seines Verbrechens kennen lernen. Er erschlägt einen Mann an einer S-Bahnstation. Und doch scheinen beide Taten einen gemeinsamen Hintergrund zu haben: Da gibt es einen Sensationsreporter, der Geld zahlt, bevor etwas geschehen ist …


Schneider, Andreas
Gefährliche Entwicklungen
United P. C. Verlag 2012
190 Seiten
ISBN: 978-84-9015-808-1
18,90 €

Weitere Informationen zum Autor und seinen Werken gibt es unter www.andreas-schneider.de

Quelle: Pressemitteilung des Autors per eMail vom 11.11.12

Freitag, 9. November 2012

Buchvorstellung von Elna Utermöhle: „Geld blutet nicht, dachte der Investor der Mafia“

Roberto Madonia, gut aussehend und gebildet, hat alles, was seiner Meinung nach zu einem erfolgreichen Leben gehört - eine hübsche Frau, zwei niedliche Kinder, ein Ferienhaus in der Toskana, eine Yacht und eine Geliebte. Seine Investmentfirma zählt zu den renommiertesten Italiens.

Eines Tages besucht ihn ein schlichter Mann und bittet ihn, sein Geld gewinnbringend zu investieren. Bald geht es um immer größere Summen. Madonia jongliert weltweit mit Milliarden, doch der Kunde fordert bei ihren Treffen in Rom, in der Toskana, beim Formel-1-Rennen oder in einer Kandinsky-Ausstellung immer neue, waghalsige und nicht immer legale Abenteuer auf den Finanzmärkten.



Als Madonia realisiert, wessen Kapital er investiert, ist es zu spät. Er ist längst ein wichtiges Werkzeug im stillen Umbau der Cosa Nostra zur Cosa Internationale geworden. Mit seiner Hilfe wandelt sich die sizilianische Mafia vom lokalen Gangstersyndikat zum global operierenden Konzern. Mehr investieren,
weniger schießen heißt die Devise. 

Gelenkt wird die Neuorientierung vom „Professore“, der seine Ideen und Befehle mit codierten Bibelsprüchen an ein Triumvirat weitergibt. Die drei Männer spiegeln den Umbruch der Cosa Nostra wieder – lokale und internationale Macht, archaische Traditionen und modernes Management, kriminelle Geschäfte und legale Investitionen, brutale Morde und weltläufiges Auftreten. Einer von ihnen, Rosario Grande, ist der Auftraggeber des Finanzberaters in Rom. Dass auch die neue Mafia nicht vor Gewalt zurückschreckt, wenn es opportun erscheint, muss der Investor erfahren, als er versucht, aus dem Milliardenspiel auszusteigen.

Elna Utermöhle, die Autorin, ist Journalistin, lebte lange in Rom und Brüssel und  ist  nun in der Toskana zu hause.


Utermöhle, Elna
Geld blutet nicht, dachte der Investor der Mafia
eBook Kindle Edition
September 2012
(Seitenzahl der Print-Ausgabe: 123 Seiten)
ASIN: B009FJ70E6
5,05 EURO

Gastbeitrag von Elna Utermöhle vom 10.10.12

Donnerstag, 8. November 2012

Bad, bad, bad Britain: Ein plötzlicher Todesfall von J.K. Rowling

„Der plötzliche Todesfall“ ereignet sich bereits auf Seite drei. Barry Fairbrother stirbt auf einem Parkplatz an einem Aneurysma, umgangssprachlich Hirnblutung. Es folgt eine ausführliche Beschreibung der Reaktionen auf den Tod von Fairbrother. Zahlreiche Personen werden eingeführt. Jeder stand in einer anderen Beziehung zum Toten. Der Leser erhält so ein multiperspektivisches Bild des Toten.

Parallel entfalten sich zahlreiche Nebenhandlungen. Die einzelnen Geschichten und deren Protagonisten werden sehr detailliert, fast fotorealistisch geschildert. Es geht z.B. um einen Biedermann, der einen gestohlenen Computer kauft, oder um eine frustrierte Boutiquebesitzerin, die sich mit einem Minderjährigen einlässt.

Sowohl die einzelnen Handlungsstränge als auch die zahlreichen Figuren finden erst nach und nach zueinander. Von Beginn an muss der Leser sehr aufpassen, um sich zurecht zu finden und sich nicht im Beziehungs- und Handlungsgeflecht zu verlieren. In Klammern werden Erläuterungen gesetzt, die den Charakter von Fußnoten haben. Gedankengänge der Protagonisten werden kursiv gesetzt. Da hatte man wohl die Einsicht, dass ansonsten der Durchblick ganz verloren gehen würde.

Eine ähnliche Vielzahl von Protagonisten und Parallelhandlungen findet sich beispielsweise auch in Folletts „Sturz der Titanen“, nur ist dort alles deutlich überschaubarer und nachvollziehbarer konstruiert.

Sozialer Realismus ist das Thema der Autorin. Und es geht heftig zur Sache, von Anfang an: ohne Umschreibungen wird Krystal Weedon als englische Unterschichtenschlampe vorgestellt. Sie ist frühreif und jeglichem sexuellen Abenteuer zugeneigt. Ihre Mutter ist eine heroinsüchtige Prostituierte, so dass sich die Jugendliche um ihren zweijährigen Bruder Robbie kümmern muss. Die Geschichte der Familie Weedon zieht sich als Teil der Haupthandlung durch den gesamten Roman.

Der Spannungsbogen, der die gesamten Haupt- und Nebenaktionen über mehr als 500 Seiten tragen soll, ist der jahrzehntealte Konflikt zwischen dem idyllischen Dorf Pagford und der nahgelegenen Stadt Yarvil, die die Sozialsiedlung Fields gebaut und es verstanden hat, dass Pagford für diese finanziell aufkommen muss. Barry Fairbrother , selbst aus Fields stammend und in Pagford zur Schule gegangen, führte im Gemeinderat die Fraktion an, die für eine Integration Fields eintritt, während der andere Teil des Gemeinderats alles daran setzt, dass Fields wieder in den Verantwortungsbereich Yarvils zurückkehrt. Nach Barry Fairbrothers Tod entsteht ein erbitterter Kampf zwischen den Fraktionen um die Besetzung des freigewordenen Gemeinderatsitzes.

Aber es geht nicht nur um den Sitz im Gemeinderat: Die Menschen in Pagford sind grundsätzlich zerstritten, ja vom Hass aufeinander zerfressen. Ehepartner untereinander, Eltern gegen ihre Kinder … egal, überall herrscht Abneigung und Streit bis hin zur körperlichen Gewalt. Die Autorin scheut sich dabei nicht, die Gewalthandlungen ebenso plastisch darzustellen wie die „Sexszenen“.

Die Jugendlichen, die extrem unter ihren Eltern leiden, sind nicht besser. Die Opfer sind auch Täter und nutzen geschickt das Internet, um die Erwachsenen zu denunzieren. Aber auch Mitschüler werden infam bloßgestellt. Es scheint fast so, als wäre mit Barry Fairbrother, der einzige anständige Mensch in ganz Pagford gestorben.

Am Schluss stehen konsequent zwei Särge in der Mitte der scheinbar idyllischen Gemeinde, umringt von einer Meute von Heuchlern. Der Leser schließt erschrocken das Buch, nachdem er sich durch über 500 Seiten modernes Elend und abgrundtiefe Bosheit gequält hat.

Kurz gesagt:

Der Schreibstil ist allzu detailversessen, die Dialoge sind zu ausufernd, ja nervig. Die Geschichte ist sehr verwirrend geschrieben. Man kann als Leser nur schwer den verschiedenen Handlungssträngen folgen. Alles ist viel zu lang geraten. Und die Botschaft? Alle Menschen sind schlecht … Die Frage nach dem Warum bleibt unbeantwortet. Was mag die Autorin bewogen haben, eine solch düstere Kleinstadtwelt zu beschreiben?

Denkt man an die Vorgeschichte der Ankündigung des neuen Romans der weltberühmten Autorin, bleibt folgender Eindruck: Gutes Marketing, schlechtes Produkt. Oder anders formuliert: Viel Lärm um nichts.

Man verpasst nichts, wenn man auf die Lektüre von „Ein plötzlicher Todesfall“ verzichtet.
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Weitere Beiträge auf Bücher und eBooks zum neuen Roman von J.K. Rowling: Ein plötzlicher Todesfall - erste Rezensionen!

Rowling, J.K. 
Ein plötzlicher Todesfall
Carlsen Verlag, September 2012
ISBN-10: 3551588880
ISBN-13: 978-3551588883576 Seiten
24,90 EUR


Stop the presses ...

... so überschreibt der Macmillan Verlag seine Begründung für das Ende des gedruckten Wörterbuchs und den Umstieg auf das Online-Wörterbuch.

1843 von den schottischen Brüdern Macmillan gegründet umfasst die Macmillan-Gruppe heute diverse Geschäftsbereiche: wissenschaftliche Literatur, Belletristik, Sachbücher sowie Lehrmaterial. Das Unternehmen ist in 70 Ländern tätig. 1999 wurde Macmillan in die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck integriert.

Die wichtigsten Gründe für die Nutzung der neuen Medienform:

  •  Interaktivität, d.h. das Wörterbuch enthält Input von seinen Nutzern und wird so stetig weiter entwickelt
  • Multimedialität, wie Sprachausgabe, Lernspiele etc.
  •  ... und der größte Vorteil: die Aktualität. Wird ein gedrucktes Wörterbuch alle 4 bis 5 Jahre aktualisiert, so geschieht das beim Online-Wörterbuch laufend.



Samstag, 3. November 2012

GASTBEITRAG: Die YouTube-isierung des Büchermarkts

Wie war der Musikmarkt vor YouTube? Die Musikverlage hatten ihre Stars unter Vertrag, die sie promotet haben und in die sie investierten. Die Musiklabels hatten die Kontrolle darüber, ob ein Künstler Zugang zu einem Millionenpublikum erhielt oder nicht. Sie konnten relativ einfach die Regeln definieren, nach denen Künstler ausgewählt und Verträge geschlossen wurden. Was würde den Radiohörern und Musikliebhabern gefallen? Die Entscheidung darüber lag letztlich bei den Verlagen. Damit waren die Musikverlage der Flaschenhals für das Meer an musikalischen Talenten dieser Welt. 

Dann kam YouTube und zerschlug den Flaschenhals. Es lieferte den Musikern eine Plattform, auf der sie sich dem Millionenpublikum präsentieren konnten - ohne intransparentes Auswahlverfahren, ohne Vertrag. Damit wurde das Auswahlverfahren öffentlich gemacht. Stars wurden plötzlich außerhalb des Systems geboren – Alyssa Bernal, Avery, Justin Bieber und viele andere. Verträge bei den Musikverlagen ließen nicht lange auf sich warten.

Kommt uns dies nicht bekannt vor? Gerade erleben wir wie der Flaschenhals im Büchermarkt zerschlagen wird, dank Amazon und den anderen eBook Plattform-Anbietern. Auch auf dem Büchermarkt erleben wir, wie große Buchverlage stark auf ihre etablierten Stars fokussiert sind. Auch hier erleben wir intransparente und sehr zeitintensive Auswahlprozesse. Und auch hier werden gerade die ersten Stars außerhalb des Systems geboren.

Wir leben in der wohl spannendsten Zeit für Autoren.

Gastbeitrag von Paul Sandmann, November 2012

Paul Sandmann ist Indie-Autor. Sein Erstlingswerk, an dem er sechs Jahre lang gearbeitet hat, wird demnächst erscheinen. Schreibe Paul Sandmann auf Twitter unter http://twitter.com/PaulSandmann

Deutlich besser als der Film: Das Buch On the Road von Jack Kerouac

Quelle YouTube: Dizzy Gillespie - Bebop
Im April 1951 schrieb Jack Kerouac, der Legende nach in nur drei Wochen unter dem Einfluss des Amphetamins Benzedrin, „On the Road" auf einer vierzig Meter langen Rolle aus zusammengeklebten Papierbögen. Inzwischen weiß man allerdings, dass „On the Road" „das Produkt jahrelanger Vorarbeiten, quälender, teils widersprüchlicher literaturtheoretischer Überlegungen, unzähliger Notizen und fragmentarischer Anfänge, von denen die ´originale Rolle´ schlicht der erste ist, der auch an ein Ende gefunden hat.“ (Welt Online 2010)

 Die „originale Rolle“ verzichtete ganz auf Absätze und weitgehend auf die Zeichensetzung. Aufgrund der homosexuellen Passagen erschien diese Fassung allerdings erst 2007 in Buchform. Die deutsche Übersetzung durch Ulrich Blumenbach folgte im Jahr 2010. In der Fassung von 2007 sind nicht nur alle sexuellen Passagen enthalten, sondern werden auch die realen Namen der Protagonisten veröffentlicht. So liest sich „On the Road“ wie ein Who-is-Who der Beatnik-Generation. Dem Leser begegnen Neal Cassady, Allen Ginsberg, und William S. Burroughs. Der Erzähler Sal Paradise trägt stark autobiographische Züge.
 

In „On the Road“ geht es um Reisen, um den ultimativen Rausch, zügellosen Sex und Bebop. Die beiden Hauptfiguren, Cassady und Paradise/Kerouac trampen, fahren mit Greyhound-Bussen und mit gestohlenen Autos oder in Hobo-Manier auf Güterzügen kreuz und quer durch die USA. In New York, Chicago, Denver, Kalifornien und schließlich Mexiko treffen sie auf Freunde, schräge Typen, gehen verschiedenen Arbeiten nach, verschaffen sich auch illegal Geld. Es ist ein schnelles, zügelloses Leben, das Jack Kerouac hier in einer rasanten, ja rauschhaften Sprache fesselnd beschreibt. Die wilden Rhythmen des Bebop spielen eine zentrale Rolle und geben den beiden den Lebenstakt vor. „On the Road“ ist der Abgesang auf den rein materialistischen „American Dream“ der Eltern und Großeltern.

Aber wie stellt sich die Alternative dar? Sind die absolute persönliche Freiheit, die jede Verantwortung für sich und andere ablehnt, und der Dauerdrogenrausch wirklich taugliche Gegenentwürfe für eine im Konsum erstarrte Gesellschaft? Die Antwort ist eindeutig: Nein! Das lehrt schon die Biographie Jack Kerouacs. Was macht heute die Faszination der Lektüre aus? Oder anders gefragt: Warum habe ich das Buch bis zum Ende gelesen? Das habe ich, weil mich der Schreibstil mitgerissen hat, und ich mich für die beiden Protagonisten interessiert habe. Zwei junge Männer, die wie auf der Flucht durch die USA hetzen, ganz ohne Ziel, erfüllt von Traurigkeit und Perspektivlosigkeit. Ich wollte wissen, welche Erfahrungen sie machen auf ihrem grandiosen Trip, was sie erleben – und ganz ehrlich, ob es für sie einen Ausweg gibt.

Außerdem ist "On the Road" ein interessanter historischer Bericht über das Nachkriegsamerika. Die schrägen Typen fand ich genauso faszinierend wie die lebendige Beschreibung der Bebop-Szene. Dieser Stoff ist (leider) filmisch nicht adäquat umsetzbar, wie die jüngst in den Kinos angelaufene Verfilmung zeigt.


Quellen und weiterführende Informationen: bookreviewsDeutschland RadioSpiegel Online

Kerouac, Jack
On the Road
Rowohlt 2010
576 Seiten
ISBN-10: 3499253836
ISBN-13: 978-3499253836
24,95 Euro.

Freitag, 2. November 2012

GASTBEITRAG: Der Junge, der Träume schenkte – Luca di Fulvio

Um es gleich am Anfang zu sagen. Dieses Buch ist ganz großes Kino. Im wahrsten Sinne des Wortes. Luca di Fulvio gelingt es, eine großartige Liebesgeschichte zu erzählen. Kurz umschrieben ist dies die Geschichte von Christmas und Ruth.



Eine großartige Liebesgeschichte, das mag anfänglich ziemlich kitschig klingen, ist es aber nicht. Denn dafür sorgt der Autor schon mit der Wahl des Handlungsortes und der Epoche. Die Geschichte spielt im New York der 20er. Die Charaktere kommen zum größten Teil aus den armen Einwanderervierteln, in denen jüdische, italienische oder irische Gangs das Sagen haben. Damit ist für genügend Crime und Gewalt gesorgt, und das Ganze ist somit weit entfernt vom Kitsch.

Die Geschichte beginnt 1908 in Italien. Cetta, ein 14 jähriges Mädchen wird vergewaltigt und bekommt ein Kind, Natale. Mit ihrem Sohn wandert sie nach Amerika aus und hofft dort, wie so viele andere auch, auf ein besseres Leben. Dort angekommen bekommt ihr Sohn von den Behörden einen neuen Namen und heißt von nun an Christmas. Cetta trifft auf einen Zuhälter, der sich ihrer annimmt, und verdient sich von nun an ihren Lebensunterhalt als Hure. Mit ungefähr 14 Jahren trifft Christmas auf Ruth, die er nach einer Vergewaltigung rettet. Aus einer anfänglichen Freundschaft entwickelt sich gegen die Widerstände von Ruths Eltern die erste Liebe. Nachdem Ruths Familie nach Los Angeles zieht, verlieren sich die beiden zunächst aus den Augen… So viel an dieser Stelle zur Handlung.

Eingebettet ist diese Geschichte, wie schon erwähnt, in das Umfeld der New Yorker Gangs, den aufblühenden Radiosendern und der Hollywood-Filmindustrie. „Kulissen“, die dieser Geschichte einen spannenden Rahmen liefern und genau der Stoff, der gerade bei amerikanischen Fernsehserien wie „Boardwalk Empire“ oder „Mad Man“ so erfolgreich inszeniert wird. 

Es ist vermutlich nur eine Frage der Zeit bis Hollywood hier zugreift und dieses Buch verfilmt, wenn nicht HBO schon dran sitzt und aus diesem Buch eine Serie entwickelt. Jedenfalls liefert Luca di Fulvio genügend Charaktere und Handlungsbögen, die ein spannender Mehrteiler braucht.

Also, dieses Buch ist wärmstens zu empfehlen und für mich ein absolutes Highlight. Aber jetzt kommen wir mal zur Kritik: 

Lieber Verlag, was hast du dir eigentlich bei dem Titel und der Covergestaltung gedacht? Den Titel kann man noch irgendwie durchgehen lassen - der italienische Original-Titel ist nicht viel besser. Aber dann noch diese Motivwahl auf dem Cover. Was soll damit eigentlich suggeriert werden? „Oh, was für eine niedliche Geschichte, voll romantisch und zum Träumen?“ Ja, es ist eine großartige Geschichte, aber in dem Buch wir gemordet, reihenweise vergewaltigt und zusammengeschlagen. Teile der Handlung spielen im Pornomilieu. In den Produktionen werden Frauen ebenfalls brutal vergewaltigt, und diese Werke sind kurz davor, in Snuff-Filme abzudriften. Alles Inhalte, die man „selbstverständlich“ hinter dem Titel des Buches und dem niedlichen Foto erwartet. 

Der Klappentext verrät auch nicht so viel von der Handlung, so dass der Leser nicht weiß, wohin sich die Geschichte entwickelt. Ich habe mir die Frage gestellt, ob das Marketing und der Vertrieb von „Bastei Lübbe“ das Buch überhaupt gelesen haben, bevor sie diese Gestaltung freigegeben haben. Ich würde es mal als sehr irreführend bezeichnen. Aber wie heißt es so schön: Du sollst ein Buch nicht nach dem Umschlag bewerten. Inhalt und Gestaltung passen nicht, macht aber nichts, denn man erhält trotzdem ein gutes Buch.

Gastbeitrag von Carsten Behrendt, Oktober 2012


Fulvio, Luca di
Der Junge, der Träume schenkte
784 Seiten
Bastei Lübbe, 19. Auflage 2011
ISBN-10: 3404160614
ISBN-13: 978-3404160617
EURO 9,99