In der Buchbeschreibung auf der Umschlagrückseite heißt es: „In diesem Buch erzählen Menschen des Mittelalters aus ihrem Leben, ja ganze Lebensgeschichten …“ Das konnte ich bei der Lektüre nicht nachvollziehen, da die meisten Geschichten nicht länger als vier bis fünf Zeilen sind. Besonders das erste Kapitel „Lebensalter und Lebenslagen in Einzelschicksalen“ (S.26 bis 50) stellte meine Bereitschaft zum Weiterlesen angesichts der Aneinanderreihung von allerkürzesten Einzelschicksalen auf eine harte Probe. Im nächsten Kapitel, „Gesellschaft“, gibt es dann die ersten längeren Zitate. Als stören empfand ich auch die lateinischen Originalzitate im Text. Sicherlich für den professionellen Mittelalterhistoriker interessant, wie der Autor die eine oder andere Sentenz übersetzt hat, für den Laien mit der Intention, hier ein Eindruck vom mittelalterlichen Leben zu erhalten, jedoch weniger relevant.
An manchen Stellen erfährt man interessante Details, die nicht zum Allgemeinwissen über das Mittelalter gehören: z.B. dass Kleriker oft den Arztberuf ausübten (S.62) oder dass man schon Kinder zu Handlangern bei Hinrichtungen machte (S.72 ff) oder Ausführungen zum adeligen Selbstverständnis (S.112) oder Erstaunliches zum mittelalterlichen Seeräuberunwesen in der Ostsee (S.120). Aber diese Stellen sind äußerst rar.
Eine allgemeine Einsicht erhält man bzw. wird, da nach meiner Einschätzung meistens bereits vorhanden, dem Leser bestätigt: Angesichts der Fülle der Angelegenheiten, in denen man um päpstliche Gnade nachsuchte, erscheint immer wieder die Allmacht, d.h. die alle Lebensbereiche durchdringende Macht der mittelalterlichen Kirche. Man sieht auch deutlich, wie gefährlich es für die Menschen war, von den Normen dieser Institution abzuweichen.
Fazit: Das Buch ist für den in mittelalterlicher Geschichte versierten Fachmann interessant, da es auf bisher kaum genutztes Quellenmaterial zurückgreift und Detaileinsichten in mittelalterliche Gedanken- und Lebenswelten bietet. Für den interessierten Laien mit eher geringen Kenntnissen mittelalterlicher Historie bietet es keinen wirklichen Erkenntnisgewinn. Auch zeigt der Schreibstil, dass hier ein wissenschaftlicher Autor am Werk ist, kein Unterhaltungsschriftsteller.
Herzlichen Dank an den Verlag C.H.Beck für die Überlassung eines Rezensionsexemplars!
Esch, Arnold
Wahre Geschichten aus dem Mittelalter: Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst
Beck 2012
223 Seiten
ISBN-10: 3406630952
ISBN-13: 978-3406630958
12,95 EURO
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