Mittwoch, 6. Juni 2012

GASTBEITRAG Tatjana Feiler: Erfrischend anders – Sunil Manns „Fangschuss“

Ich habe mit diesem Buch einfach mal etwas Neues probiert, bin einer Facebook-Empfehlung gefolgt und habe erst nach dem Kauf die Inhaltsangabe durchgelesen. Alles was ich wusste war: Frischgebackender Privatdetektiv mit indischen Wurzeln ermittelt in Zürich.

Das klang eigentlich auch kurios genug für ein Krimivergnügen der anderen Art. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ich freute mich darauf, Vijay Kumar kennen zu lernen, den Ermittler, über den man schon auf dem Einband erfährt: „Indischer Whiskey und eine gehörige Portion Selbstironie helfen ihm, aufkommende Zweifel an seiner Berufswahl zu verdrängen.“

Das könnte eine erheiternde Lektüre werden. Und – so viel das mag ich sagen, bevor ich auf den Inhalt zu sprechen komme: Es ist ein ungemein amüsantes Buch geworden, das Sunil Mann geschrieben hat.

Vijay Kumar ist die Hauptfigur, die in Manns Debüt am Rande der Züricher Noblesse-Gesellschaft versucht, die Eigenständigkeit als Privatermittler zu einem lukrativen Beruf zu machen – und gleich sein erster Fall übersteigt seine kühnsten Erwartungen: Er muss nach einer vermissten Katze suchen.



Wer nun meint, die Geschichte würde mit dem Klischee der Schweizer Gemütlichkeit daher kommen, sollte nicht zu sehr enttäuscht sein, denn der zweite Fall lässt nicht lange auf sich warten und Vijay ist bald mitten drin im Drogenmilieu Zürichs und darf sich nebenbei noch mit seiner melodramatischen Mutter ärgern, die ihren einzigen Sohn nur zu gerne unter der Haube einer schönen arrangierten indischen Ehe wüsste.

Sunil Mann lässt seinem Protagonisten nur wenig Zeit zum Atemholen und wie Vijay versucht auch bald der Leser hinter die verschlungenen Abhängigkeiten und Grausamkeiten inmitten der idyllischen Berge der Schweiz zu gelangen. Rasante Verfolgungsjagden in altersschwachen Käfern inklusive.

Kein mit allen Wassern gewaschener BKA-Beamter oder schwedischer Kriminalkommissar, kein versteckter Alkoholiker mit einer Vorliebe für düstere Platten aus den 70er, sondern ein junger Typ, der mehr zufällig als beabsichtigt zu seinen Aufträgen und vor allem – deren Auflösung kommt. In diesem Buch wird man als Leser nicht mit Kapriolen an dramaturgischen Finten und Sackgassen konfrontiert, sondern begleitet diesen Privatermittler, der nicht immer so genau weiß, was er jetzt als nächstes tun soll. Das macht die Frische von Manns Debüt aus – weil sie einen neuen Weg geht und damit eine Schneise in die deutschsprachige, oft leider überbürokratisierte Kriminalliteratur wirft.

Während Vijay also seinen Weg in die berufliche Selbständigkeit geht und, eher er sich versieht, ein Gejagter sein wird, versucht er sich der Kuppelei seiner Mutter zu erwehren, trinkt mehr indischen Whiskey als ihm gut tut und zieht um die Häuser.

Nebenbei sieht man als Leser durch seine Augen das andere Zürich, das Zürich der Alten und Armen, das Drogen-Zürich und die Straßen käuflicher Liebe – das Ganze mit einer leisen Ironie und dem Spiel mit Klischees, die Mann, selbst Schweizer mit indischen Wurzeln, wiederholt und gekonnt in die Geschichte einbaut.

Mit Freude habe ich dieses Buch gelesen, da mir die schnörkellose Sprache so gut gefallen hat, mit der Mann Milieubeschreibung mit der Innenschau seines Protagonisten verwebt und auch Randfiguren mit reduzierter Skizzierung schrullig-liebenswert durch die Erzählung wandeln lässt.

Mit Spannung habe ich die Geschichte verfolgt, da trotz der konzentrierten, zielgerichteten Energie der Erzählstimme Mann diese Spannung immer wieder durchbricht mit kleinen Randgeschichten, die nicht ablenken, sondern Vijays Kosmos näherbringen.

Alles in allem bleibt zum Schluss nur zu sagen: Dieses Buch geht neue Wege, erzählt dabei mit Humor und individuellem Blickwinkeln von dem kriminellen Schrecken, der hinter harmloser und biederer Fassade versteckt ist, und nimmt den Leser mit auf eine Reise durch die Straßen von Zürich, wie man es noch nicht kennt. Als Sahnehäubchen kredenzt Sunil Mann ein schrill-faszinierendes Biotop an Figuren, die jenseits des Bankenviertels ein durchaus lesenswertes Dasein führen.

Beide Daumen hoch für eine vergnügliche Zürich-Begegnung der etwas anderen Art!

Tatjana Feiler, Freiburg den 6.6.2012

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