Freitag, 29. Juni 2012

Buchbesprechung / Rezension: Grenzgang von Stephan Thome

Kerstin Werner, die einst in Köln Sport mit Schwerpunkt Tanz studiert hatte, lebt mit ihrer an Altersdemenz erkrankten  Mutter und ihrem Sohn Daniel in der Provinzgemeinde Bergenstadt. Ihr Mann, der Rechtsanwalt Jürgen Bamberger, hat sie wegen einer jüngeren Frau verlassen.

Das  Scheitern ihres Lebensentwurfs, ihrer Träume, ihrer Zukunftspläne verbindet sie mit der zweiten Hauptperson des Romans. Thomas Weidmann kehrt nach seiner Habilitation in Berlin in die Provinz zurück, weil er keine Anstellung erhält. Statt die angestrebte Karriere als Wissenschaftler zu machen, wird er Lehrer am Städtischen Gymnasium in Bergenstad.

Immer wieder kreuzen sich in der Enge der Provinz die Wege der beiden Hauptfiguren, z.B. als Daniel Bamberger versucht, einen seiner Mitschüler zu erpressen.

Karin Preiss, die gelangweilte Ehefrau eines Unternehmers, und Kerstin Werner freunden sich an. Karin Preiss schlägt ihrer neuen Freundin vor, einen Swingerclub zu besuchen. Ausgerechnet dort trifft sie auf Thomas Weidmann, der von Zeit zu Zeit über das Internet Bekanntschaften schließt. Und die letzte hat ausgerechnet den Swingerclub als Treffpunkt vorgeschlagen. Kurz nach diesem Vorfall verbringen die beiden eine Nacht miteinander.

Doch dann ändert sich die Lebenssituation der Hauptfiguren. Die Mutter von Kerstin Werner stirbt. Ihre Freundin Karin Preiss finanziert ihr ein Tanzstudio. Thomas Weidmann wird zum stellvertretenden Schulleiter befördert. Die beiden finden zueinander. Happy End in der Provinz.

Der triste Alltag des provinziellen Lebens, Scheidungen, schulische Probleme Jugendlicher, Frustration, unerfüllte Träume, kaputte Lebensentwürfe … keine große Geschichte, zumindest auf den ersten Blick.

Stephan Thome wählt aber eine ganz spezifische Erzählperspektive: In Bergenstadt wird alle sieben Jahre mit einem dreitägigen Volksfest die rituelle Begehung der Gemeindegrenzen (Grenzgang) zelebriert. Die Handlung spielt jeweils in diesen Tagen des Grenzgangs. Dabei verzichtet der Autor auf eine chronologische Abfolge der Handlung, sondern springt in der Zeit vor und zurück. In einer leicht lesbaren Sprache begegnen uns Menschen, die wir (zumindest der über vierzigjährige Leser) selbst aus unserer Lebenserfahrung kennen. Menschen, die echt wirken.

Dieser Alltagsroman ist so ehrlich und offen erzählt, die Geschichte in ihren zahlreichen Verzweigungen so dicht gewoben, dass der Autor auf das Happy End hätte verzichten können. Ein endgültiges Scheitern der Lebensentwürfe in der provinziellen Tristesse wäre m.E. glaubwürdiger.

Thome, Stephan
Grenzgang
Suhrkamp Verlag 2009
453 Seiten
ISBN-10 3518421166
ISBN-13 9783518421161
22,80 EURO (gebraucht bei amazon ab 0,90 EURO) 

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