Sonntag, 29. April 2012

Sinnloser Kampf und sinnloser Tod: Rezension / Buchbesprechung "Das Ende" von Ian Kershaw

Hätten die Deutschen aufgehört zu kämpfen, als die Niederlage offensichtlich war, wären Millionen Menschen einem sinnlosen Tod entgangen: die Bombenopfer, die Soldaten auf beiden Seiten der Fronten, die hingerichteten Deserteure, die Opfer der Todesmärsche … Die sinnlosen Zerstörungen der Lebensgrundlagen in Deutschland und in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten wären vermieden worden. In den letzten zehn Kriegsmonaten starben so viele Soldaten wie in den vier Jahren zuvor. In diesem Zeitraum wurden mehr Zivilisten getötet als in den vier vorrangegangenen Kriegsjahren. Die Konzentrationslager funktionierten in ihrer mörderischen Effizienz nur solange die Deutschen für das NS-Regime kämpften!
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Der britische Historiker und einer der diesjährigen Träger des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung Ian Kershaw hat eine Gesamtdarstellung vorgelegt, die eine vielschichtige Antwort auf die Frage gibt, "wie das Regime, das auf allen Seiten zerrissen wurde, weiter operieren konnte, bis die Rote Armee vor der Reichskanzlei stand". (Seite 36)

Der Autor stellt die Geschehnisse im Zeitraum des Attentats vom 20. Juli 1944 bis zur bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 dar. Ein wesentliches Ergebnis von Stauffenbergs gescheitertem Anschlag auf Hitler war die Machtumverteilung im untergehenden Dritten Reich. Himmler, Speer, Bormann und Goebbels wurden die mächtigsten Männer in Deutschland. Diese vier erzwangen und ermöglichten mit ihren gewaltigen organisatorischen Apparaten das Durchhalten bis zum bitteren Ende. Ihre Instrumente waren Organisationsgeschick, Manipulation und blanker Terror. Insbesondere Speer, so hebt Kershaw hervor, hat die Fortsetzung des Krieges materiell möglich gemacht. Kershaw charakterisiert dieses Quadrumvirat folgendermaßen: „drei der rabiatesten und radikalsten Fanatiker, der Vierte ein ehrgeiziges, machthungriges Organisationsgenie“. (S.536) Auch die militärischen Führer kommen nicht gut weg: „Die Generäle waren keineswegs bloße Werkzeuge Hitlers … Sie handelten aus Überzeugung und taten, was in ihrer Macht stand, um ihre Soldaten zu größeren Anstrengungen zu treiben … [Sie waren] in Wirklichkeit doch das wichtigste Element des sterbenden Regimes.“ (Seite 371)

Kershaw zeigt die Strukturmerkmale der NS-Herrschaft auf: Alle Macht im Deutschen Reich beruhte auf der „höheren Autorität des Führers … Hitlers Macht, so viel war klar, würde bis zum Ende halten.“ (Seite 406) Er zeigt, wie klar es den in die Verbrechen verstrickten Parteigängern Hitlers war, dass das Ende des Krieges unweigerlich ihr eigenes Ende bedeuten würde. Besonders die Gauleiter taten sich als fanatische Antreiber hervor, die sich aber dann selbst oft feige davonmachten, nachdem sie viele geopfert hatten. Insbesondere im Osten wurde von ihnen die rechtzeitige Evakuierung der Zivilbevölkerung verhindert.

Präzise und knapp erläutert Kershaw die militärischen Ereignisse an der West- und Ostfront. Dabei zeigt er, wie an der Ostfront die Angst vor dem Feind zum Weiterkämpfen motivierte. Man wusste schließlich, was man dem russischen Volk während des Krieges angetan hatte und fürchtete – zu Recht, wie sich bald herausstellte – die grausame Rache der Sieger.

Der Autor beschreibt den Alltag in einem Land mit zerstörter Infrastruktur, in welchem weder die Post noch die Eisenbahn oder gar die Lebensmittelversorgung funktionierten. Er beschreibt den zunehmenden Zerfall bis hin zu den Endzeit-Exzessen im zerstörten Berlin.

Geschildert werden auch aufkeimende Hoffnungen nach der Ardennenoffensive und der Glaube an die Wunderwaffen. Viele teilten auch die Ansicht, durchhalten zu müssen, bis die Koalition der so ungleichen Feinde brechen würde, um dann gemeinsam mit den Westmächten gegen die Sowjetunion weiterkämpfen zu können.

Kershaw zeichnet das Bild eines kriegsmüden Volkes, das um die Niederlage wusste, aber zu schwach war, um sich zu erheben. Der Kampf ums eigene Überleben sei für die meisten Deutschen, auch für die Soldaten, das tragende Motiv gewesen. Dazu gehörte dann eben auch, dass man sich nicht gegen das Regime stellte, das in seinem Todeskampf wild um sich schlug und jeden erbarmungslos vernichtete, den es für illoyal hielt. Lieber abwarten und durchhalten bis zum Ende … und überleben. Denn Gauleiter, Kreisleiter, Ortsgruppenleiter, Blockwarte, Polizei, SS, Gestapo, Standgerichte - der Terror hatte viele Helfer und willige Vollstrecker.

Der Autor hat ein überzeugendes Gesamtwerk zum Untergang des Dritten Reiches vorgelegt. In einer klaren und nüchternen Sprache erzählt er, was sich im letzten Dreiviertaljahr des Regimes abspielte. Er stellt die Geisteshaltung der Akteure dar, er beschreibt heterogene Motivationslagen, er erklärt, warum es zu einer totalen Niederlage kam. Vieles davon ist bereits in anderen Werken beleuchtet worden. Kershaws Verdienst ist es, die Mosaiksteinchen zusammengefügt und fehlende Teile rekonstruiert oder zugefügt zu haben. „Das Ende“ ist ein auch für Nicht-Historiker gut lesbar geschriebenes Werk.

Besonders beeindruckend sind aber die zitierten Quellen: neben den Berichten des Sicherheitsdienstes auch Tagebücher und Briefe. Gerade die sehr persönlichen Stellungnahmen zeigen dem nachgeborenen Leser, in welcher Ausnahmesituation sich die Zeitgenossen befanden. In einem Zustand der immerwährenden Bedrohung durch den Tod. Dabei versäumt Kershaw auch, nicht angesichts des geschilderten Elends der Flüchtlinge und der Ausgebombten immer wieder klar zu stellen, wer verantwortlich war für diese Katastrophe, wo diese Katastrophe des 20. Jahrhunderts ihren Ausgang nahm. Nur so lange die Deutschen durchhielten, konnte das Regime auf den Todesmärschen und in den Lagern seine Opfer hinschlachten.

Kershaw, Ian
Das Ende
Kampf bis in den Untergang - NS-Deutschland 1944/45 

DVA Sachbuch 2011
704 Seiten, mit Abbildungen
ISBN 978-3-8389-0194-7

Freitag, 27. April 2012

Buchbesprechung / Rezension zu Kakerlaken von Jo Nesbo

Der norwegische Botschafter in Thailand wird mit einem Messer im Rücken in einer Absteige aufgefunden. Harry Hole soll als Sonderermittler die Polizei in Bangkok unterstützen. Warum aber gerade Harry? Weil er trinkt und damit kaum zu tief in den Kriminalfall einsteigen wird – so zumindest die Hoffnung seiner Vorgesetzten und mächtiger Kreise in der norwegischen Politik. Aber Harry macht ihnen allen einen Strich durch die Rechnung.

Zuerst findet er kinderpornographische Fotos im Koffer des Ermordeten, dann kommt er der Spielleidenschaft und den immensen Wettschulden des Botschafters auf die Spur. Schließlich entdeckt er zum Entsetzen der Leute, die ihn abkommandiert haben, um alles zu vertuschen, auch noch, dass die Ehe des Getöteten nur zum Schein bestand. Denn der Botschafter war homosexuell und lebte als Student mit dem amtierenden Ministerpräsidenten von Norwegen in einer WG.
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Harry kommt bei seinen Recherchen auch auf die Spur des Investmentbankers Jens Brakke, der mit der Frau des Botschafters liiert ist, und des Bauunternehmers Ove Klipra. Brakke kommt in Untersuchungshaft, Hole zweifelt aber an dessen Schuld und sorgt dafür, dass er wieder auf freien Fuß gesetzt wird. Während seiner Ermittlungen lernt Harry jede Spielart von käuflichem Sex kennen, er dringt ein in den Sumpf der Korruption und entdeckt auch, dass norwegische Beamte illegal in Thailand ermitteln.

Der Autor legt dem Leser viele falsche Spuren. Die Wendungen sind überraschend, aber nicht unglaubwürdig. Der norwegische Ermittler gerät selbst in Lebensgefahr und erst nach einem zweiten Mord wird das Geheimnis gelüftet.

Kakerlaken ist einer der wenigen Krimis, die man am liebsten am Stück lesen würde, weil man keine Wendung verpassen will.

Nesbø, Jo
Kakerlaken
Ullstein Taschenbuch 2009
432 Seiten
ISBN 3-548-28049-8



Mittwoch, 25. April 2012

Harry Potter, eBook, DRM? Alles keine Zauberei!


Rund 4 Wochen nachdem der Verkauf der englischsprachigen „Harry Potter“-eBooks begann, sind nun auch die deutschsprachigen eBooks und eAudios verfügbar. Die eBooks gibt es für 7,99 und 9,99 Euro. Die digitale Gesamtausgabe ist für 57,54 Euro erhältlich. Zum Start hat nur Amazon die Titel im Sortiment – der Käufer wird von dort zum Pottermore-Shop verlinkt.

Und es gibt noch eine ganz große Besonderheit: Die eBooks sind ohne Kopierschutz herunterladbar, als ePub, lediglich mit einem digitalen Wasserzeichen versehen. Wer allerdings seinen Harry Potter auf dem Kindle eReader lesen will, der muss eine DRM-verschlüsselte Datei herunterladen.


Zum Amazon-Angebot einfach auf das Bild klicken.

Quelle:
buchreport zu DRM

buchreport zu Harry Potter als eBook






Montag, 23. April 2012

Neuer eBook-Reader: „Liro Ink“ ab Mai 2012 im Buchhandel

Die MVB (Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH), eine Tochter des Börsenvereins, bietet einen neuen eReader für den Buchhandel an. Der „Liro Ink“, entwickelt in Kooperation mit dem Hardware-Produzenten TrekStor soll ab Mitte Mai 2012 lieferbar sein.

Der „Liro Ink“ im Überblick:

  • Preis für Endkunden: 69,99 Euro (unverbindliche Preisempfehlung) 
  • Display: 6-Zoll-E-Ink
  • Gewicht: rd. 200 Gramm
  • 4 GB interner Speicher für rd. 4.000 eBooks
  • Unterstützte eBook-Formate: EPUB, PDF, DRM, TXT, FB2, PBD, RTF, HTML 
  • Datentransfer per USB-Anschluss vom PC auf den eReader (kein WLAN oder UMTS)
  • Automatischer Zugriff auf den Liro Online-Shop (angebunden an „Libreka“, d.h. Zugriff auf über 250.000 Titel) 
Der Buchhändler hat folgenden Vorteil, wenn er diesen eReader verkauft: 


Kauft der Kunde über den Liro Online-shop erhält der Buchhändler eine ähnliche Provision wie bei Printtiteln. D.h. einmal verkauft, immer verdienen – auch wenn der Kunde die Buchhandlung gar nicht mehr betritt.

Quellen:
mvb

Samstag, 21. April 2012

Zum Kindle-Geburtstag: Kindle Touch und Kindle Touch 3G werden ab 20.4. ausgeliefert!

"Heute, fast ein Jahr nach dem Launch des Kindle Shops auf Amazon.de werden Kindle Touch und Kindle Touch 3G an Kunden in Deutschland, Österreich und Luxemburg ausgeliefert – sieben Tage vor dem angekündigten Versanddatum am 27. April 2012. Kindle Touch und Kindle Touch 3G sind die eReader von Amazon, die Kunden die meisten Funktionen bieten. Kindle Touch 3G ist das Premiumprodukt und bietet das gleiche neue Design und die gleichen Funktionen wie Kindle Touch, jedoch mit einer kostenlosen 3G Drahtlosverbindung für den Download von Kindle-Inhalten. Mehr Informationen zu Kindle Touch und Kindle Touch 3G:"

Zitiert aus: Pressemitteilung von amazon.de  vom 20.4.12

Freitag, 20. April 2012

GASTBEITRAG: Carsten Behrendt stellt das Buch „Die Alchemie der Unsterblichkeit“ von Kerstin Pflieger vor

Zwischendurch gelesen

Manchmal findet man in seinem Bücherregal noch unbekannte Bücher, die man lesen könnte, wenn man mal nichts zu lesen hat, oder wenn einem besonders langweilig ist. Meistens sind das Bücher, die Familienmitglieder gelesen haben und die dann ihren Platz im Regal gefunden haben.

„Die Alchemie der Unsterblichkeit“ ist so ein Buch. Ein Fantasy-Roman – und sowas nehme ich nur äußerst selten in die Hand. Jetzt schien mal wieder die Zeit dafür reif zu sein. Nach 10 gelesenen Seiten wäre dieser Ausflug ins Fantasy-Genre auch schon fast wieder vorbei, aber ich habe tapfer bis zum Schluss durchgehalten und muss zugeben, so schlecht war die Geschichte jetzt nicht.

Zum Inhalt: Der junge Gelehrte Icherios Ceihn wird 1771 zur Aufklärung einer Mordserie in ein Dorf in den tiefsten Schwarzwald geschickt. Icherios glaubt an die Wissenschaft und meint, mit der richtigen wissenschaftlichen Methode den Mörder aufspüren zu können. Da hatte er aber nicht damit gerechnet, dass die Dorfgemeinschaft aus Werwölfen, Vampiren und Menschen besteht, die in einer zerbrechlichen friedlichen Koexistenz zusammenleben. Nicht alles was Ceihn aus seinem Studium weiß und gelernt hat, lässt sich in dieser Welt anwenden. Vampire und Werwölfe unterliegen nun einmal anderen Naturgesetzen und Regeln. Manche diese Gesetze sind bekannt, aber auch hier kommen, wie bei jeder Vampirgeschichte, neue hinzu. Kerstin Pflieger hat sich ein paar neue Raffinessen einfallen lassen, aber zumindest strahlen und glitzern die Vampire nicht, wenn sie im Sonnenlicht stehen (Wer kann sich nur so einen Blödsinn ausdenken…).

Wer sich bei dieser Geschichte ein wenig an Sleepy Hollow erinnert fühlt, dem kann ich nur zustimmen. Kerstin Pflieger schreit mit ihrem Erstlingswerk förmlich danach, dass Tim Burton ihr Buch bitte mit Johnny Depp verfilmen soll. Die Chancen dazu sind meiner Meinung nach nicht so hoch. Vielleicht klappt die filmische Umsetzung eher mit Matthias Schweighöfer als Icherios. Die Frage, ob die Welt so einen Film braucht, ist damit noch nicht beantwortet.

Wie gesagt, das Buch erinnert stark an die Geschichte von Sleepy Hollow, aber es liest sich nach anfänglichen Schwierigkeiten doch ganz gut und ist recht unterhaltsam- also unterhaltsam im Sinne von „Ich brauche noch ein Buch für den Strand“. Die Aufklärung der Mordserie liefert keine große Überraschung, die Idee, einen Ort zu schaffen, an dem Vampire, Werwölfe und Menschen zusammenleben, hat einen gewissen Charme und die Charaktere sind gut gezeichnet und man fiebert dem Helden Icherios Ceihn bei der Aufklärung doch ein wenig mit. Also, für zwischendurch ganz gut zu lesen, für Liebhaber des Genres liefert dieses Buch vermutlich zu wenig Neues und Spannendes.

Und selbstverständlich kann es so einen Ort nur im Schwarzwald geben.


Carsten Behrendt, Mülheim an der Ruhr, 20.4.2012

Dienstag, 17. April 2012

Amazon vs. Apple: Der Kampf geht in die nächste Runde!

Unter dem Titel „Fauler Apfel? Preisabsprachen?“ wurde bereits am 9.März 2012 über den Verdacht illegaler Preisabsprachen von Appel gemeinsam mit fünf Verlagen in diesem Blog berichtet. Im Mittelpunkt der Kritik der US-Wettbewerbshüter steht dabei das sog. Agentur-Modell: Die Verlage legen einen Preis für eBooks fest. Apple erhält von diesem Fixpreis pauschal 30 Prozent. Konkurrierende Händler dürfen nicht billiger verkaufen. Das ganze richtete sich also von Beginn an gegen Amazon und seine Dumping-Preise bei eBooks.

Nun meldet die Financial Times Deutschland, dass drei der Verlage, nämlich Hachette Livre, Harper Collins sowie Simon & Schuster, inzwischen einem Vergleich zugestimmt haben und sich verpflichteten, die Preise freizugeben Lediglich Penguin sowie das Verlagshaus Macmillian, das zur Holtzbrinck-Gruppe gehört, haben die Zustimmung verweigert. Der amerikanische Justizminister kündigte ein weiteres rechtliches Vorgehen an. Auch die Generalstaatsanwälte von 16 US-Bundesstaaten haben eine eigene Klage in Texas eingereicht.

Apple ist am vergangenen Freitag (13.4.) in die Offensive gegangen und ließ durch einen Sprecher verkünden, dass man den Wettbewerb gefördert und das Monopol von Amazon gebrochen habe.

Sollten die Wettbewerbshüter erfolgreich sein, kann Amazon erneut eBooks zu Dumpingpreisen anbieten und somit die Entwicklung weg vom Print weiter forcieren. Das würde den stationären Buchhandel, insbesondere den angeschlagenen Buchhandelsriesen Barnes & Nobel, in eine missliche Lage bringen.

In Deutschland verhindert die Preisbindung bisher derartige Entwicklungen, was auch das bescheidene Wachstum im eBook-Markt ein Stück weit erklärt.

Das Handelsblatt stellt zu dieser Thematik fest, dass zwar die Buchpreisbindung in Europa Buchhändler, Verlage und Autoren (noch) schützt, doch wird mit Sorge verzeichnet, dass auch die EU-Kommission ein Verfahren eingeleitet hat, um angebliche Preisabsprachen für eBooks zu überprüfen. Der Kommentator des Handelsblatts sieht bei einer Aushöhlung der Buchpreisbindung den „vielfältigen Buchmarkt“ in Gefahr und eine „ kulturelle Verarmung“ im Falle von Preissenkungen kommen. Auch warnt er eindrücklich vor einer Monopolstellung von Amazon, denn: „Niedrige Preise gibt es bei Amazon nur so lange, bis das Internetunternehmen den Markt bis in den letzten Winkel uneingeschränkt dominiert.“

Quellen:
Handelsblatt 
Financial Times Deutschland 

Montag, 16. April 2012

Neues von J.K. Rowling

Die „Little, Brown Book Group“ gibt auf ihrer Internetseite bekannt, dass am 27.9. des Jahres das neue Buch der Harry Potter-Autorin Joanne K. Rowling mit dem Titel „The Casual Vacancy“ (sinngemäß übersetzt: Die freie Stelle oder Der freie Sitz) erscheinen wird. Zunächst in englischer Sprache, und zwar als Hardcover, eBook und Hörbuch.

In diesem Roman für Erwachsene geht es um den unerwarteten Tod von Barry Fairweather, welcher die Kleinstadt Pagford in einen Schockzustand versetzt und einen leeren Sitz im Pfarrgemeinderat hinterlässt. Pagford mit seinem kopfsteingepflasterten Marktplatz und seiner alten Abtei ist eine englische Idylle, aber das scheint nur so. Hinter der hübschen Fassade finden heftige Konflikte (im Original heißt es „war“) statt: Reiche gegen Arme, Jugendliche gegen ihre Eltern, Frauen gegen ihre Ehemänner, Lehrer gegen ihre Schüler ... In Pagford ist nichts, wie es scheint. 

Und um den frei gewordenen Platz von Barry im Pfarrgemeinderat bricht der größte Konflikt aus, den die Stadt je gesehen hat. Nach Darstellung des Verlags wird der Wahlkampf mit Leidenschaft, Doppelzüngigkeit und unerwarteten Enthüllungen geführt. Schwarzer und tiefgründiger Humor wird versprochen. 

Zu einer deutschen Ausgabe liegen (noch) keine Informationen vor.

Quelle:

Samstag, 14. April 2012

Buchbesprechung – „Imperium“ von Christian Kracht

Kracht, Christian
Imperium 
Kiepenheuer und Witsch 2012
256 Seiten
ISBN: 978-3-462-04131-6

„An Bord … befand sich also der junge August Engelhardt aus Nürnberg, Bartträger, Vegetarier, Nudist … nun reist er nach Neupommern, um Land zu kaufen für eine Kokosplantage … Er würde Pflanzer werden, doch nicht aus Profitgier, sondern aus zutiefst empfundenem Glauben, er könne Kraft seiner großen Idee die Welt … für immer verändern.“ Für Engelhardt ist die Kokosnuss die Krone der Schöpfung, denn sie liefert Nahrung, Baumaterial für Möbel und Häuser, Fasern für Kleidung etc. „… seine Bestimmung war es, eine Kolonie der Kokovaren zu erschaffen, als Prophet sah er sich und als Missionar zugleich.“ (S.19 und S.20) Damit ist auch schon das Wesentliche zum Inhalt und zum Protagonisten von „Imperium“ gesagt.

Der spätere Ver-„Führer“ der Deutschen erscheint als biographischer Gegenentwurf zu Engelhardt: „So wird nun stellvertretend die Geschichte nur eines Deutschen erzählt werden, eines Romantikers, der wie so viele dieser Spezies verhinderter Künstler war, und wenn dabei manchmal Parallelen zu einem späteren deutschen Romantiker und Vegetarier ins Bewusstsein dringen, der vielleicht lieber bei seiner Staffelei geblieben wäre, so ist dies durchaus beabsichtigt und sinnigerweise, Verzeihung, in nuce auch kohärent.“ (S. 18 und S.19) Kracht beschreibt Hitler als „kleine[n] Vegetarier, eine absurde schwarze Zahnbürste unter der Nase“ und sieht „die Todessymphonie der Deutschen“ kommen. (S.79) Keine große Leistung, wenn man 2011 ein Buch schreibt.

Diese deutliche Distanzierung vom Nationalsozialismus sowie die doch öfters im Roman anklingende Abscheu vor der barbarischen Bestrafung der Eingeborenen wegen Nichtigkeiten und die Schilderung der ausbeuterischen Absichten der weißen Herren lassen den „Türsteher-Vergleich“ und den Vorwurf, rechtes Gedankengut zu propagieren, zumindest was diesen Roman betrifft, als unzutreffend erscheinen. Zwar stellt die Hauptfigur des Romans einmal deutlich fest, dass auf seiner Insel Kabakon „mitnichten eine Demokratie und ein kommunistisches, infantiles Miteinander herrsche …“, sondern er alleine bestimme, „wohin es gehe“ (S.185). Aber da leidet er bereits an krankheitsbedingtem Verfolgungswahn.

Dennoch bleibt festzustellen, dass die koloniale Wirklichkeit Deutsch-Neupommerns sowie die politischen und gesellschaftlichen Umstände der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts deutlich am Rande der Haupthandlung stehen. Von Zeit zu Zeit werden sie stroboskopisch beleuchtet, aber nie vertieft.

Nur zwei Anhänger leben mit Engelhardt auf der Insel der Kokovaren. Da ist Aueckens, ein Pädophiler, der Engelhardts jugendlichen Diener Makeli vergewaltigt und von oder mit einer Kokosnuss erschlagen wird. Es bleibt offen, ob es sich um einen Unfall durch eine zufällig herabfallende Kokosnuss handelt oder ob Engelhardt ihn tötet. Und dann ist da noch Max Lützow, ein überspannter Musiker, der von seinen eingebildeten Krankheiten geheilt die Insel der Kokovaren in Deutschland publik macht, so dass 25 jugendliche Jünger anreisen, die vom Gouverneur schnell wieder zurückgeschickt werden. Es kommt zum Zerwürfnis mit dem Musiker, und Engelhardt bleibt alleine auf seiner Insel zurück. Der Gouverneur will Engelhardt töten lassen, doch sein Handlanger weigert sich.

Vor den Australiern, die im 1. Weltkrieg die Insel besetzen, flieht Engelhardt in den Busch. Und es sind amerikanische Soldaten, die ihn 1945 völlig verwahrlost und krank in seinem Versteck finden.

Vergleichen wir mal das, was der Verlag zu „Imperium“ sagt oder besser verspricht, mit meinen Leseerfahrungen:

„In Imperium erzählt Christian Kracht eine Aussteigergeschichte in den deutschen Kolonien der Südsee, indem er virtuos und gut gelaunt mit den Formen des historischen Abenteuerromans eines Melville, Joseph Conrad, Robert Louis Stevenson oder Jack London spielt.“ Aber weder bei „Moby Dick“, noch bei „Herz der Finsternis“ oder der „Schatzinsel“ oder den zahlreichen Geschichten von Jack London habe ich mich je gelangweilt oder empfand den Schreibstil als aufgesetzt und gekünstelt. Irgendwie hatte ich beim Lesen den Eindruck, dass der Autor hier als schlechter Imitator einem großen schriftstellerischen Vorbild folgt. Als ich dann die Rezension von Sabine Vogel in der Berliner Zeitung las, bekam ich Klarheit über diese Ahnung. Und Sabine Vogel bringt es auf den Nenner: „Krachts gespreizter Manieriertheit dieser scheinbar Thomas Mann imitierenden Sprache nervt ziemlich bald.“

„Doch in der Abgeschiedenheit der Südsee, in einer Kolonie des wilhelminischen Deutschland, gerät ein von einem vegetarischen Spleen besessener Sonnenanbeter in eine Spirale des Wahnsinns, die die Abgründe des 20. Jahrhunderts ahnungsvoll vorwegnimmt.“ Ja, das stimmt: Engelhardt, dieser unsympathische Antiheld mit seiner unsinnigen Ideologie deren tiefster Sinn – gibt es überhaupt einen? – mir völlig verborgen bleibt, wird wahnsinnig. Aber:  "die die Abgründe des 20. Jahrhunderts ahnungsvoll vorwegnimmt“, das ist dann doch zu dick aufgetragen.

Wie gesagt, die politischen und gesellschaftlichen Hintergründe huschen lediglich vorbei. Um nochmals auf Thomas Mann zurückzukommen: Wer ein wirklich eindrückliches Bild von der Gesellschaft am Vorabend des 1. Weltkrieges geschildert haben will, der sollte den „Zauberberg“ von 1924 lesen.

„In seinem vierten Roman zeichnet Christian Kracht die groteske, verlorene Welt von Deutsch-Neuguinea, eine Welt, die dem Untergang geweiht ist und in der sich doch unsere Gegenwart seltsam spiegelt.“ Es tut mir wirklich leid, auch die behauptete Spiegelung der Gegenwart blieb mir verborgen.

„Zugleich aber ist Christian Krachts Imperium eine erstaunliche, immer wieder auch komische Studie über die Zerbrechlichkeit und Vermessenheit menschlichen Handelns.“ Es handelt sich um einen dem Wahnsinn erliegenden Vegetarier und Nudisten, der an die Allmacht der Kokosnuss glaubt. Wo ist der angebliche  Bezug zur „Vermessenheit menschlichen Handelns“? (Zitate aus kiwi-verlag.de: Imperium, „Zum Inhalt“)

Neben dem anstrengenden und aufgeblasenen Schreibstil hat mich der dreiste Versuch, einen tieferen Sinn dieser skurrilen Geschichte zu behaupten, am meisten gestört. Meine Empfehlung: Nicht lesen!


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Freitag, 13. April 2012

Buchbesprechung - „Bis Dein Zorn sich legt“ von Åsa Larsson

„Ich erinnere mich, wie wir gestorben sind“ – so beginnt das Buch aus der Sicht der ermordeten Wilma Persson, die zusammen mit ihrem Freund Simon nach einem Flugzeugwrack aus den 40er Jahren taucht und deshalb umgebracht wird. Detailliert erzählt die Tote, wie jemand die Halteleine durchschneidet, wie das Eisloch mit einer Holztür verbarrikadiert wird, wie sich ihr grässlicher Todeskampf hinzieht. Immer wieder erscheint die Ermordete und begleitet die, die ihren Mordfall untersuchen. So gewinnt dieser spannende Krimi durch eine mystische Erzählperspektive. Diese wirkt immer seriös und bereichernd, gleitet nie ins Groteske oder den bloßen Horror ab. 




Staatsanwältin Rebecka Martinsson und Kommissarin Anna-Maria Mella ermitteln. Die Staatsanwältin stößt bei ihren Nachforschungen auf Geheimnisse der Vergangenheit. Sie entdeckt ein Geflecht aus Schuld, Verrat und Verdrängung. Die Polizistin macht derweil unangenehme Bekanntschaft mit der Familie Krekula. Die Söhne des wohlhabenden Spediteurs Isak Krekula, Tore und Hjalmar, versuchen, die Polizistin einzuschüchtern und vor weiteren Ermittlungen abzuhalten. Kerrtu Krekula, Isaks Ehefrau, ist die Schwester von Anni, der Urgroßmutter der ermordeten Wilma. Dann geschieht ein dritter Mord: Hjörleifur Arnarson lebt in der Nähe des Sees, wird aber erschlagen, bevor er als Zeuge aussagen kann.

Neben der Morduntersuchung wird auch die Familiengeschichte der Krekulas erzählt: Da ist der die Handlung prägende Zwist zwischen den Brüdern Hjalmar und Tore, der fein psychologisch geschildert und analysiert wird. Die Autorin lässt von Anfang an keinen Zweifel aufkommen, dass diese Familie vom tyrannischen Vater angestiftet, der von Habgier getrieben einst mit den Nazis kollaborierte, etwas mit den Morden zu tun hat.

Die Morde an den beiden Tauchern haben ihre Ursachen in der Vergangenheit: 1943, Finnland ist Verbündeter Nazi-Deutschlands. Das neutrale Schweden unterstützt die Deutschen, teilweise offen, teilweise verdeckt. Aber es gibt auch schwedische Widerstandskämpfer und ebenso schwedische Verräter, die noch Jahrzehnten versuchen, ihre Schuld mit allen Mitteln zu vertuschen.

Ich würde diesen Krimi einen literarischen Krimi nennen, wenn es dieses Genre gäbe. Denn das sprachliche Können und die psychologische Tiefe der Protagonisten geht weit über das bei Krimis übliche Niveau hinaus.

Larsson, Åsa
Bis Dein Zorn sich legt
C. Bertelsmann Verlag 2009
350 Seiten
ISBN: 3-570-01084-8


Donnerstag, 12. April 2012

Die FTD ist jetzt endgültig ein Literaturmagazin! Danke, Günter Grass!

Ja, Sie haben richtig gelesen: die Financial Times Deutschland ist jetzt endgültig ein Literaturmagazin. War  sie nicht immer schon auf dem Weg dorthin? Seit vielen Jahren erfreuen (oder ängstigen?) unzählige Akte der griechischen Tragödie um den EURO den Leser. In epischer Breite schildern uns die Autoren Tag für Tag die lustigen Kapriolen des DAX. Nun wendet sich die FTD der letzten, noch nicht vereinnahmten  literarischen Hauptgattung zu: der Lyrik.

Viele greifen zu immer größeren Keulen und Geschützen, um das wankende literarische  Denkmal zu schleifen. Einige wenige ernsthafte Verteidiger mühen sich redlich zu seinem Schutz ab. Eine Aufgabe, die ihnen der aus der finsteren rechten Ecke gespendete Applaus nicht gerade erleichtert. Und dann ist da noch der unsympathische Typ mit seinem fiesen Anzug, der sein Glück gar nicht fassen kann und mit glänzenden Augen - aber halt immer noch deutlich schlechter gekleidet als seine Auftraggeber in ihren wallenden Gewändern - durch seine Atomanlagen schreitet. Es sei ihm gegönnt, denn seit den Enthüllungen von Wikileaks wissen wir ja, dass er auch manchmal ein paar auf die Ohren bekommt ... 

Und genau in dieser verfahrenen Situation geben die Journalisten der FTD die redlich verdiente alttestamentarische Antwort: Auge um Auge, Gedicht um Gedicht!

Hier geht es zu dem m.E. äußerst gelungenen Leitgedicht "Was gesagt werden muss": Financial Times Deutschland

Mittwoch, 11. April 2012

"Rania": 1. Platz beim Kurzgeschichtenwettbewerb!

Rania hat den von neobooks in Zusammenarbeit mit dem Literatur Quickies Verlag, der Akademie für Autoren und Streetview Literatur ausgerichteten Kurzgeschichtenwettbewerb "Urbaner Krimi"  gewonnen. Und das ist der Preis für den Sieger: "Rania" wird im Programm des  Literatur Quickies Verlag  erscheinen.

Die beiden Schöpfer von Rania, Hans Peter Karr und Walter Wehnersind keine unbekannten Autoren. Sie arbeiten seit 1986 regelmäßig zusammen und erhielten hierfür bereits verschiedene Literaturpreise und Auszeichnungen.

Und darum geht es in der 20-Seiten-Kurzgeschichte:

Rania, ein Flüchtlingskind, ist aus dem deutschen Kinderheim weggelaufen und versteckt sich in einem Einkaufszentrum. Die Versorgungsschächte des großen Gebäudes werden ihr Zuhause. Das Lebensnotwendige beschafft sie sich durch Stehlen in den zahlreichen Geschäften. Als sie sich eines Tages ein paar Schuhe stiehlt, erwischt sie beinahe der Schumacher ... wäre da nicht der "alte Mann", der ihr hilft. Rania hat einen Freund und Verbündeten gefunden. Der "alte Mann" ist offensichtlich ein Stadtstreicher. 

Immer wieder gibt es Rückblenden aus der Gegenwart des Einkaufszentrums: Rania erinnert sich, wie ihre Mutter und ihre Schwester von Soldaten vergewaltigt und zusammen mit ihrem Vater getötet wurden ... Und dann geschieht etwas Schreckliches: Rania wird erneut Zeugin eines Mordes.

Eine spannende Erzählung, ausreichend für einen Roman über Krieg- und Flüchtlingselend und einen Krimi, verdichtet auf 20 Seiten. Gelungen in der Sprache, alles präzise und zusammenhängend erzählt, ohne jemals hektisch zu werden.

Jetzt gratis bei neobooks lesen: Rania 


[Nachtrag 12.4.2012: Leider ist Rania nicht mehr auf neobooks zu finden. ]




Dienstag, 10. April 2012

eBook versus Print: Der eBook-Anteil steigt, aber die Leser sind pragmatisch.


Das renommierte us-amerikanische Pew Research Center hat eine aktuelle Studie zum Stand des „e-reading“ in den USA veröffentlicht. Eine Studie, die auch für den deutschen Buchmarkt interessant ist, und zumindest die Richtung der Entwicklung des eBook-Marktes weist.

Hier die wichtigsten Ergebnisse im Kurzüberblick:

Zuwachs bei den eBooks, aber weiterhin Dominanz des gedruckten Buchs: Mitte Dezember 2011 waren es noch 17% der amerikanischen Erwachsenen, die in den 12 Monaten zuvor ein eBook gelesen hatten. Nach Weihnachten (Reader als Geschenk) waren es im Februar 2012 sogar 21%. Fasst man den Begriff „elektronisches Lesen“ weiter und bezieht Zeitschriften etc. mit ein, dann waren es im Dezember 2011 bereits 43% der Amerikaner, die auf ihrem Reader, Tablet-PC, PC oder Handy längere Texte lasen.

Aber: Die Mehrheit bleibt beim gedruckten Buch, und 88% der eBook-Leser lesen auch gedruckte Bücher.

eBook-Leser lesen mehr: Der durchschnittliche Leser von eBooks hat 24 Bücher in den letzten 12 Monaten gelesen, die Nicht-eBook-Leser dagegen nur 15.

Interessantes zu den Lesegeräten: 42% lesen auf ihrem Computer, 41% nutzen einen Reader wie Kindle oder Nooks, 29% lesen auf ihrem Handy und nur 23% nutzen dazu einen Tablet-PC (Mehrfachangaben!)

Pragmatische Entscheidung für eBook und Print: Wer einen schnellen Zugang und Mobilität will, der setzt auf das eBook. Print gewinnt, wenn man zusammen mit Kindern liest oder wenn man die Bücher an andere weitergeben will.

Lieber kaufen als leihen? 54% der Print-Leser und 61% der eBook-Leser kaufen ihre Literatur.

Quelle: The rise of e-reading - Pew Research Center

Sonntag, 8. April 2012

"Osterpaziergang" - aus Goethes Faust



Video-Quelle: YouTube
Ausschnitt - Vor dem Tore
Sprecher: Horst Caspar
Hörspielproduktion WDR 1952
Illustration: Bruegel, Delacroix
Aus dem hohlen finstern Tor

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt's im Revier
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein!
(Johann Wolfgang von Goethe, Faust I)

Text-Quelle: Uni Mainz

Samstag, 7. April 2012

Buchbesprechung: "Die Wahrheit über Deep Throat"

„Als Hauptdarstellerin in dem legendären Pornofilm Deep Throat erlangte Linda Lovelace 1972 Berühmtheit und wurde als Ikone der sexuellen Revolution gefeiert. Doch der Ruhm hatte auch eine düstere Seite, die sich offenbarte, als Linda Lovelace 1980 auspackte und ihre Version der Entstehungsgeschichte von Deep Throat in Form einer schonungslosen Abrechnung mit dem Pornogeschäft veröffentlichte. Das Buch wurde ein riesiger Bestseller, der jetzt parallel zum heiß diskutierten und von der Presse euphorisch gefeierten Dokumentarfilm Inside Deep Throat [2005] neu aufgelegt wird.“ Soweit der Beschreibungstext des Verlags.

Zu Beginn des Buches erzählt Linda Lovelace wie sie, gerade  in einer Lebenskrise und einer emotional labilen Phase, Chuck Traynor kennen lernt, von diesem langsam aber zielgerichtet umgarnt wird und dabei in eine immer stärkere Abhängigkeit gerät. Schließlich ist sie seine Gefangene, seine Sklavin. Ein jahrelanges Martyrium beginnt: „Jeden Tag wurde ich entweder vergewaltigt, geschlagen, getreten, gewürgt oder angeschrien. Manchmal bekam ich alles auf einmal.“ (S.50) Chuck wird ihr Zuhälter, er zwingt sie zum Sex mit Tieren und, und, und ...

Der Film, der sie berühmt gemacht hat, kommt nur am Rande vor. Auch zu diesem Film sei sie gezwungen worden, so ihre Behauptung. Es geht hier keineswegs um die "Entstehungsgeschichte von Deep Throat". Im Mittelpunkt des Buches steht eindeutig die Abrechnung mit Chuck Traynor. Auch Prominente wie Sammy Davis jr. und Hugh Hefner kommen dabei als „Mittäter“ nicht besonders gut weg. 



Als Leser fragt man sich, warum eine Frau das alles so lange mitmacht, warum sie nicht flieht. Wird man hier Zeuge einer psychischen Abhängigkeit, einer extremen Hörigkeit? Ist das wirklich die „Wahrheit über Deep Throat“? Es gab da einige Brüche im Leben der Linda Lovelace, die hier zu bedenken sind: Teilnahme an der Anti-Porno-Bewegung, dann wieder Distanzierung  von ihren feministischen Mitstreiterinnen. Ihrer „Glaubwürdigkeit fügten auch Softporno-Aufnahmen in den 1990er Jahren erheblichen Schaden zu.“ wikipedia 

Vielleicht doch nicht die ganze Wahrheit? Auf jeden Fall eine interessante und kurzweilige Lektüre, sprachlich nicht gerade das höchste Niveau, aber dennoch gut zu lesen.

Lovelace, Linda
Die Wahrheit über Deep Throat
285 Seiten
Heyne Verlag 2005
ISBN 3-453-67505-3

Donnerstag, 5. April 2012

Günter Grass: Mit 84 auch noch Antisemit?

"Die Blechtrommel", "Der Butt", "Katz und Maus", "Die Rättin" - was für grandiose Literatur. Wortgewaltig und wortschöpfend. SPD-Wahlkämpfer und moralische Instanz. Das war Günter Grass. Dann kam das Bekenntnis vor einigen Jahren: Günter Grass outete sich als Angehöriger der Waffen-SS. Na und, in den letzten Kriegsmonaten war Himmlers Truppe eine Art Ersatzwehrmacht. und nahm jeden auf. Und wie alt war er denn damals?

"Ein weites Feld" war das letzte Buch, das ich von Günter Grass gelesen habe, d.h. rund zu einem Drittel. Es langweilte mich, es war nicht mehr der wortgewaltige Autor mit den interessanten Geschichten. Aber auch das ist Ansichtssache.

Ansichtssache - wie das in der SZ veröffentlichte Gedicht, das ihm jetzt den Antisemitismus-Vorwurf einbrachte. Hat er auch vorausgesehen. So schreibt er in seinem Gedicht: "Das Verdikt Antisemitismus ist geläufig". Am besten, selbst nachlesen und sich ein eigenes Bild machen. Die Kernaussage oder besser die Aussage, die jetzt Ärger macht: "Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden?"

Iranisches Atomprogramm, möglicher Präventivschlag, deutsche U-Boote für Israel? Topaktuelle politische Fragen, zu der jeder seine eigene Meinung haben darf. Warum jetzt aber in der Süddeutschen als Gedicht veröffentlicht? Hätte es da ein Leserbrief nicht auch getan? Oder Kalkül: Die einen schielen auf die Auflagenerhöhung, der andere, um den es still geworden ist, braucht Öffentlichkeit?

Nein, wer wird denn so etwas vermuten ... oder honi soit qui mal y pense.


Dienstag, 3. April 2012

Rebecca Gablé heute, 3.4. ab 18 Uhr, live im Chat!

Beim Buchjournal-Gewinnspiel wurde Rebecca Gablé von der Mehrheit der 1.500 Teilnehmer zum zeitgenössischen Lieblingsautor gekürt.

Ihr letztes Buch, "Der dunkel Thron", erschien im Herbst 2011.

Ab 18 Uhr wird die Autorin im buchjournal.chat online sein: hier chatten

Montag, 2. April 2012

GASTBEITRAG: Carsten Behrendt stellt das Buch „Erebos“ von Ursula Poznanski vor

Erebos hat ein Ziel: Es will töten.

So steht es auf dem Klappentext zum Buch. Und das Computerspiel Erebos, das die Schüler einer Londoner Schule in seinen Bann zieht, scheint ein Eigenleben zu entwickeln und einen großen Plan zu verfolgen. Jeder will es spielen, jeder hofft, eine Kopie zu bekommen, aber niemand darf über das Spiel reden. Wer sich nicht an die Regeln hält, ist draußen und kommt nicht mehr rein. Die Grenzen zwischen dem virtuellen Spiel und der Wirklichkeit verschwimmen, und Erebos scheint seinem Ziel immer näher zu kommen. Aber entwickelt das Spiel ein Eigenleben oder steckt irgendjemand dahinter? 


 



Das Jugendbuch ist eines der spannendsten Bücher, das ich in den letzten 12 Monaten gelesen habe, und zeigt auch wieder, dass das Genre Jugendbücher gerade mit die interessantesten Geschichten zu bieten hat. So hat „Erebos“ im Oktober beim Deutschen Jugendliteraturpreis den Preis der Jugendjury gewonnen. Der Kritikerpreis ging an „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, ein Buch, zu dem man nicht mehr viel sagen muss. Warum „Tschick“ als Jugendbuch gehandelt wird, ist mir aber nicht ganz klar. Diese zwei Beispiele zeigen aber, dass es sich immer wieder lohnt in der Buchhandlung in der Abteilung „Jugendbuch“ zu stöbern, denn dort findet man auch „Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak oder auch „Der Junge im gestreiften Pyjama“ von John Boyne (noch nicht gelesen, ist aber ganz oben auf der Liste)

Zurück zu „Erebos“, wie ein Computerspiel die Schüler so in den Bann ziehen kann, Freundschaften zerstört und eine Schule ins Chaos stürzt, wird von Ursula Poznanski spannend beschrieben. Man fiebert mit und will wissen, was es mit dem Spiel auf sich hat. Wer verbirgt sich hinter den einzelnen Figuren, die im Spiel auftauchen, und wie kann man sich aus den Fängen dieses Spiels wieder befreien. Themen wie Zugehörigkeitsgefühl und Abhängigkeiten spielen in der Geschichte eine große Rolle. Denn das Spiel ist wie eine Droge und verspricht den Teilnehmern viel. Dieses Buch lässt einen, wie das Spiel „Erebos“, nicht mehr los. Und ich empfehle das Buch, da es sich um ein Jugendbuch handelt, auch für lesefaule Jugendliche. Ein ideales Geschenk um den Spaß am Lesen zu wecken.

Die Nominierungen für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2012 sind auch schon da, da werde ich mich mal durch die Liste arbeiten.

PS Es ist auch keine Schande, als Erwachsener „Rico, Oscar und die Tieferschatten“ zu lesen. Witziger ist eigentlich nur "Hummeldumm". Mehr intelligenten Wortwitz findet man aber in diesem Kinderbuch.


Carsten Behrendt, Mülheim an der Ruhr, 2.4.2012

Sonntag, 1. April 2012

Giftmord in Köln … im Jahr 1376

Köln im Jahr 1376: Inquisition, bigotte und heuchlerische Mönche, religiöser Fanatismus, stinkende Abwassergräben, bewaffnete Auseinandersetzung zwischen dem Kölner Bischoff und dem Stadtbürgertum … gekonnt, mit wenigen, aber zielgenauen Federstrichen zeichnet Andrea Schacht den mittelalterlichen Hintergrund zu ihrem historischen Kriminalroman "Der dunkle Spiegel".




Im Mittelpunkt der Handlung steht eine intelligente  Frau, die Begine Almut, die selbstbewusst die "Grundwahrheiten“ ihrer Zeit hinterfragt. Und das ist nicht ganz ungefährlich, wie sich im Laufe der Geschichte zeigen wird. Dieser emanzipatorische Ansatz durchzieht die gesamte Handlung, die jedoch in erster Linie von einem spannenden Kriminalfall geprägt wird.
 
Der Sohn eines französischen Geschäftspartners des Weinhändlers de Lipa, Jean de Champol, leidet an einer Lungenkrankheit. Almut bringt dem Erkrankten eine Hustenmedizin aus der Apotheke des Konvents, kurze Zeit später stirbt der Kranke. Der Spiegel, mit dem Almut die Atmung des jungen Franzosen überprüfen will, ist schwarz angelaufen. Der Weinhändler de Lipa bezeichnet Almut als Giftmörderin. Die  Begine ist bekannt für ihre Diskussionsfreudigkeit und ihre vom Dogma abweichenden Ansichten. Der fanatische Inquisitor Johannes will diese Gelegenheit für eine Abrechnung nutzen.

Almut macht sich daran, ihre Unschuld zu beweisen und den Tod des jungen Franzosen aufzuklären. Sie entdeckt dabei die Verstrickung des Toten in betrügerische Weingeschäfte. Unterstützt wird sie bei ihren „Ermittlungsarbeiten“ durch die „maurische Hure“, ihre Halbschwester, wie der Leser im Laufe der Geschichte erfährt. Auch der Beichtvater des jungen Franzosen, Pater Ivo, wird zu ihrem Verbündeten. Er rettet sie listenreich vor dem Zugriff des Inquisitors. Die Zuneigung zwischen den beiden wächst zusehends. Doch bleiben  diese  Gefühle unerfüllt.

Man verschlingt die Seiten, um der Begine Almut bei ihrer Aufdeckung der Verstrickungen, die zum Tod des Jean de Champol geführt haben, zu folgen. Ein von der Autorin glaubhaft gesponnenes Geflecht aus Eifersucht, Untreue, Erpressung, Leidenschaft und Habgier wird offenbarAls Almut der Wahrheit zu nahe kommt, wird sie fast selbst Opfer eines Mordanschlags.

An manchen Stellen durchbricht Andrea Schacht in ihrem emanzipatorischen Ansatz deutlich die historischen Grenzen ihrer Protagonisten. So wird im Konvent der Beginen - schon rd. 150 Jahre bevor Luther diese Idee kommen sollte - die Bibel übersetzt. Was ihre intellektuelle Selbstständigkeit und ihr selbstbewusstes Auftreten angeht, passen die weiblichen Akteure eher ins 21. als ins 14.Jahrhundert. Dennoch ist „Der dunkle Spiegel“ ein lesenswertes Buch, angefüllt mit witzigen, schlagfertigen Dialogen, unerwarteten Wendungen und Passagen voller Humor. 

Meint man als Leser schon sehr früh, erkannt zu haben, wohin die Geschichte steuert, so wird man doch immer wieder von den spannenden Wendungen überrascht.