Freitag, 4. Oktober 2013

Drei Frauen – eine Insel

Bei den Recherchen zu seinem Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“, der auf den Kalifornien vorgelagerten Inseln St. Cruz und Anacapa spielt, stieß T.C. Boyle auf  historische Zeugnisse von Bewohnern der Insel St. Miguel. Daraus erschuf er, um dies gleich vorneweg zu sagen, einen grandiosen historischen Roman. 

Boyle sagte in einem Interview mit Der Welt: „Mein erstes Buch Wassermusik spielte während der Kolonialisierung Afrikas – es war eine postmodern zugespitzte Geschichte, die sich über historische Romane lustig machte. Mehr als 30 Jahre später habe ich jetzt mit San Miguel selbst einen realistischen historischen Roman geschrieben. Der Kreis scheint sich geschlossen zu haben.“



Es geht in St.Miguel um drei Frauenschicksale:

Im Jahr 1888 kommt Marantha, die an der „Schwindsucht“, heute Tuberkulose genannt, leidet, auf die Insel. Gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Adoptivtochter. Statt der erhofften Erlösung von ihrem Leiden findet sie auf der Insel nichts als harte Arbeit, schlechtes Wetter und Einsamkeit. Dazu kommt die zunehmende Entfremdung von ihrem Mann. Marantha und ihre Adoptivtochter Edith haben nur einen Wunsch, nämlich die Insel so schnell wie möglich zu verlassen. Kaum zurück auf dem Festland stirbt Marantha. Edith wird von ihrem Stiefvater gezwungen, ihre geliebte Schule aufzugeben und auf die Insel zurückzukehren, um ihm den Haushalt auf der Schafsfarm zu führen. Sie denkt Tag und Nacht an Flucht und ist bereit, dafür alles zu tun. 

Nach dem Ersten Weltkrieg kommt Elise mit ihrem Mann auf die einsame Insel. Das Leben dieser beiden ist geprägt von Liebe, Zufriedenheit und Naturbegeisterung. Zwar führen auch die beiden einen harten Existenzkampf, dennoch empfinden sie das Leben auf St.Miguel als Privileg. Das Familienglück wird durch die Geburt ihrer beiden Töchter vervollständigt. 

Die Klammer zu den Vorbewohnern wird geschickt durch eine Nebenfigur hergestellt. Ein Farmarbeiter, der bereits als junger Mann auf St.Miguel lebte, schildert, was aus Edith nach ihrer Flucht geworden ist.

Den Kampf mit einer harten, unbarmherzigen Natur und daraus resultierende völlig unterschiedliche Lebensentwürfe, hatte Boyle bereits in seinem Roman Drop City  thematisiert. St.Miguel ist vom Stoff her ähnlich verortet, jedoch ganz anders erzählt. Der geübte Boyle-Leser wird überrascht sein, denn hier nutzt der Autor einen für ihn ganz ungewöhnlichen Erzählstil: geradlinig, ruhig, langsam und dennoch spannend entwickelt er hier seine fesselnde Geschichte

Boyle selbst brachte das in dem bereits erwähnten Interview mit Der Welt auf den Punkt: „Zwei der drei von mir beschriebenen Frauen haben tatsächlich auf dieser Insel gelebt. Meine Grundlagen waren Memoiren und Tagebuchnotizen. Und es ist das erste Mal, dass ich einen Roman aus der Perspektive von Frauen erzähle. Ich wollte, dass diese Charaktere wahrhaftig wirken ...“ Und das ist ihm hervorragend gelungen: Ein lesenswerter historischer Roman. Spannend und gekonnt erzählt.

T. Coraghessan Boyle
San Miguel
448 Seiten
Carl Hanser Verlag 2013
ISBN-10: 3446243232
ISBN-13: 978-3446243231
22,90 EURO





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