"Hier ist er: Heinrich Manns Roman DER UNTERTAN ganz anders, neu erzählt für unsere Zeit. Mit großem menschlichem Gespür erzählt Joachim Zelter, was längst überfällig war: die Entwicklungsgeschichte des modernen Untertanen in der Welt von heute, erzählt von der frühen Schulzeit bis zum Erwachsenenalter, von den Siebzigerjahren bis in die Jetztzeit", heißt es im Verlagsprospekt.Und da Heinrich Manns "Untertan", der große Abrechnungsroman mit dem wilhelminischen Reich, zu meinen Lieblingsbüchern gehört, habe ich Joachim Zelters "Untertan" gelesen. Aber Friederich Ostertag ist kein Diederich Heßling und Joachim Zelter kein Heinrich Mann. Hätte ich den Werbetexten des Verlags geglaubt, wäre ich enttäuscht worden. So wurde es dann doch eine angenehme, unterhaltsame Lektüre.
Friedrich Ostertag ist kein sehr begabtes Kind. Und der Vater fordert mehr als der Sohn zu leisten vermag. Als alle Nachhilfebemühungen scheitern, wird Friedrich auf ein Internat geschickt. Dort sind sehr viele Söhne reicher Eltern, die aus Faulheit oder mangels Intellekt bildungsresistent sind. Mit Geld und Einfluss schafft es auf diesem Internat aber auch der größte Schwachkopf bis zum Abitur. Friedrich Ostertag, der Sohn eines einfachen Spielwarenladenbesitzers, wird von seinen Mitschülern übel behandelt. Statt sich zu wehren, passt er sich an und verleugnet sich selbst, idem er sich dem Druck beugt und für seine Peiniger allerlei Dienste verrichtet.
Nach dem Abitur schreibt er sich an der Konstanzer Universität im Fach Soziologie ein. Dort wird er der Assistent des reichen Herrn von Conti und verfasst sogar dessen Doktorarbeit. Von Conti bringt es, völlig inhaltsleer und ohne eigene Leistung, allein kraft des "schönen Scheins" zu allerhöchstem Ansehen in Staat und Gesellschaft. In einer knappen, akzentuierten und gut lesbaren Sprache liefert Joachim Zelter eine gelungene Satire auf den den feinen Herrn von und zu Guttenberg und dessen Aufstieg und Fall ab.
Wo ist aber nun die Anknüpfung an Heinrich Manns Meisterwerk? Joachim Zelter führte in einem Interview aus, dass beide Romane auf einer grundlegenden Gesellschaftsanalyse basierten:
"Heinrich Manns Roman ist eine Studie des Autoritarismus und Militarismus im deutschen Kaiserreich. [...] In meinem Roman ist die Ökonomie oberstes gesellschaftliches Bewegungsprinzip. Wo im Kaiserreich eine Gesellschaft noch umfassend militarisiert wurde, da wird sie heute zunehmend ökonomisiert. Fast alle Fragen und Diskurse entfalten sich heute als ökonomische Diskurse. Seit den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wandelt sich die Gesellschaft immer mehr von einer postmaterialistischen Gesellschaft (Ronald Inglehart) wieder in eine materialistische Gesellschaft. [...] Selbst die Bildung (einst das genaue Gegenteil von jeder Ökonomie) wird jetzt zu einer Ware." (Quelle tv-orange: "Der Untertan im neoliberalem Zeitalter", 17. September 2012)Die Ökonomisierung allen individuellen, gesellschaftlichen und staatlichen Handelns mag eine zutreffende Beobachtung sein. Die literarische Umsetzung dieser Einsicht bleibt allerdings durch die Schul-, Universitäts- und Politiksatire und den eher weniger überzeugend gezeichneten Charakter des Protagonisten deutlich hinter dem literarischen Vorbild zurück.
Joachim Zelter
untertan
211 Seiten
Klöpfer und Meyer 2012
ISBN-10: 3863510356
ISBN-13: 978-3863510350
19,50 EURO
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