Freitag, 12. Oktober 2012

Amerika in der Krise: Sunset Park von Paul Auster

Sunset Park ist die Geschichte von Miles Heller, seinen Eltern, seinen Freunden und vom heutigen Amerika in der Krise. In einem Interview mit der ZEIT fast Paul Auster seine Situationswahrnehmung in einem Satz zusammen: „ Bush hat das Land zerstört. Seine Politik war so furchtbar, dass Obama die schlimmste Krise seit drei Generationen vorfand.“ Vor dieser Kulisse agieren seine Figuren.



Miles, 28 Jahre alt, schlägt sich als Entrümpler in Florida durch. Die Immobilienblase ist geplatzt, die verschuldeten Wohnungs- und Hauseigentümer werden zwangsvollstreckt und geräumt. Miles fotografiert das, was zurückgelassen wurde. Bildzeugnisse des Scheiterns von Lebensentwürfen und Hoffnungen.

Paul Auster schildert ein krisengeschütteltes Amerika. Immer wieder wird dabei der Vergleich zu den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen. Eine Zeit, in der Millionen desillusionierter Männer wieder nach Hause kamen, ohne jemals emotional heimzukehren. Immer wieder wird auf William Wylers Film "Unsere besten Jahre" aus dem Jahr 1946 Bezug genommen. Paul Auster zieht deutlichen Parallelen zu seinen Antihelden: „Jeder meiner jungen Menschen sucht einen Ausweg, aber da ist ein Gefühl – nicht von Untergang, aber von mangelnder Hoffnung.“

Miles hatte nach dem Tod seines Stiefbruders das College aufgegeben, das Elternhaus verlassen und sich mit Handlanger-Jobs über Wasser gehalten. Tiefe Gewissensbisse quälen ihn. Während eines Streits hatte er seinen Stiefbruder gestoßen, und der wurde von einem vorbeifahrenden Auto erfasst oder getötet. Hatte er ihn gestoßen bevor oder nachdem er das Auto gehört hatte? Er weiß es nicht mehr. Paul Auster sagt: „Wir leben, wie zu Zeiten des Bürgerkrieges, in einem geteilten Land.“ Ist der angedeutete Brudermord eine Metapher für diese Ansicht?

Die Kapitel sind nach den Figuren benannt. Dabei wechselt der allwissende Erzähler die Perspektiven und schildert oft auch dieselbe Begebenheit aus verschiedenen Wahrnehmungen.

Miles liebt die Minderjährige Pilar, einer elternlosen aus Cuba stammenden Amerikanerin, und wird von deren älterer Schwester erpresst. Er flieht nach New York zu seinem Freund Bing, der eine "Klinik für kaputte Dinge" betreibt. D.h. er repariert Dinge, die unmodern sind, wie z.B. Schreibmaschinen. Mit zwei weiteren Freunden, einer Doktorandin und einer Malerin, die am Existenzminimum leben, hat er ein abbruchreifes Haus in Sunset Park (Brooklyn) besetzt.

Alle haben eines gemeinsam: Sie sind jung, gut ausgebildet, verdienen aber nicht genug Geld mit ihren Jobs und suchen nach sich selbst, nach Orientierung. „Jeder meiner jungen Menschen sucht einen Ausweg, aber da ist ein Gefühl – nicht von Untergang, aber von mangelnder Hoffnung“, sagt der Autor. Die Wohngemeinschaft steht für die verlorene amerikanische Jugend nach Bush. Sunset Park „handelt von diesen jungen Menschen, um die ich mich sehr sorge. Die Wirtschaft ist am Boden, Jobmöglichkeiten sind nicht mehr, was sie waren. Das Schlimmste, was wir unseren Kindern antun, ist, dass Bildung so teuer gemacht wurde, dass nur noch die Reichsten der Reichen sie bezahlen können.“ 

Aber auch Miles Vater Morris kämpft um seine Existenz: Sein Verlag steht auf der Kippe, seine Ehe wegen eines Seitensprungs vor dem Aus. Wird er sich als „Dosenmann" (Leergutsammler) durchschlagen müssen?

Schließlich trifft sich Miles mit seinen Eltern und seiner Stiefmutter und beichtet seine vermeintliche Schuld am Tod seines Stiefbruders. Die Patchwork-Familie steht zu ihm, seine Stiefmutter nimmt ihn in die Arme. Dann schlägt das System zu und vertreibt die vier jungen Leute mit brachialer Gewalt aus dem Haus.

Interessant waren für mich vor allem die zahlreichen Perspektiven, aus der sich die Erzählung zusammensetzt. Man versteht die Handelnden, sie sind in ihrer Hilflosigkeit sympathisch. Es gibt allerdings – außer bei Miles persönlichem Schuld-Trauma – keinen Ausweg, kein Happy End. Am Schluss siegt das System. Paul Auster ist ein Könner, der leicht dahin schreibt, fast schon im Plauderton, den Leser aber mit dem Gefühl der Tristesse am Ende zurücklässt.

Die Paul Auster Zitate stammen aus einem ZEIT-Interview
Rezension zu Leviathan von Paul Auster auf "Bücher und eBooks"

Auster, Paul
Sunset Park
Übersetzung von Werner Schmitz
Rowohlt Verlag, 2012
315 Seiten
ISBN-10: 3498000829
ISBN-13: 978-3498000820
19,95 €

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