Im Herbst 1987 blätterte Capus als Student der Geschichte im Lesesaal der Bibliothek in Tageszeitungen aus den Jahren 1933 und 1934 und stieß dabei auf die Bankräuber Kurt Sandweg und Waldemar Velte. Bei der Kriminalpolizei im Basler Lohnhof bat er um Akteneinsicht im Fall Sandweg und Velte, die ihm erstaunlicherweise ohne große Umstände gewährt wurde. Akribisch studierte er den Inhalt von vier grauen Schachteln, die mit schwarzen Baumwollbändern verschnürt waren und die alle Informationen enthielten, die die Polizei zum Fall der deutschen Bankräuber gesammelt hatte ... und machte daraus in jahrelanger Arbeit einen Roman.
In „Fast ein bisschen Frühling“ schildert der Autor die authentische Geschichte der Jugendfreunde Kurt Sandweg und Waldemar Velte. Die beiden jungen Männer empfinden eine große Abneigung gegen das sich im Laufe des Jahres 1933 verfestigende Naziregime und wollen Hitlerdeutschland verlassen. Um ihre Reisekasse zu füllen, scheuen sie auch vor einem Banküberfall nicht zurück. Im Verlauf des Überfalls wird ein Bankangestellter erschossen.
Über Belgien und Paris gelangen sie nach Basel. Nach einem neuerlichen Banküberfall in Basel, auch hier sterben Menschen, setzt eine Großfahndung der Schweizer Polizei ein. Skrupellos schießen die beiden sich den Weg frei. Für die Bankräuber sind Polizisten nur das „Werkzeug von Kreaturen“, die für das Massenelend auf der Welt verantwortlich sind.
Sie haben keinerlei Gewissensbisse: „Wir haben unser Rechtsempfinden und Suchen nach objektiver Wahrheit noch vertieft, und ebensolche Denkart, die zudem die einzig richtige ist, musste uns zwangsläufig mit der `lieben menschl. Gesellschaft` in Konflikt bringen.“ (S.141 ff)Sandweg und Velte sehen sich in ihrem ideologischen Referenzsystem als Revolutionäre und rechtfertigen so ihre Mordtaten.
Neben der Erfüllung ihres Sendungsauftrags gehen sie in Basel auch ganz profanen Angelegenheiten nach: Sie freunden sich mit zwei Verkäuferinnen des Kaufhauses Globus an, Dorly Schupp und Marie Stifter. Letztere ist die Großmutter des auktorialen Erzählers.
Die Geschichte endet schließlich in einer selbstzerstörerischen Katastrophe.
Auf seiner Homepage beschreibt Capus seinen Erzählstil folgendermaßen: „Capus verbindet sorgfältig recherchierte Fakten mit fiktiven Erzählebenen, in denen er die persönlichen Schicksale seiner Protagonisten einfühlsam und zugleich präzise beschreibt. Er hat damit ein für ihn typisches Genre geschaffen, das zwischen Dokumentation und Erzählung changiert.“Auch „Fast ein bisschen Frühling“ basiert auf diesem Erzählstil: Immer wieder werden lange Zitate aus Zeitungsberichten und Polizeiprotokollen eingeflochten. Auch gibt es keine lineare Zeitstruktur, sondern ein häufiges Springen zwischen den Zeitebenen. Diese Rückwendungen sowie die stetigen Perspektivwechsel machen das Buch zwar interessant, da die Protagonisten ihre innerste Sicht der Dinge offenbaren, verlangen aber vom Leser zugleich ein Höchstmaß an Konzentration.
Fazit: Eine interessante, auf historischen Ereignissen basierende Erzählung, die konsequent im Berichtsstil vorgetragen wird. Durch die geschickte Einbindung von „Dokumenten“ (Zeugenaussagen, Abschiedsbriefe der Bankräuber etc.) werden die persönlichen Handlungsmotive und die psychische Disposition der Protagonisten offenbar. Lesenswert!
Capus, Alex
Fast ein bisschen Frühling
Carl Hanser Verlag 2012
(Ersterscheinung 2002)
188 Seiten
ISBN: 978-3-446-23917-3
EURO 10,00
Herzlichen Dank an den Carl Hanser Verlag für das Rezensionsexemplar!
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