Bozikovic, Michel:
Drift
Klett-Cotta Verlag 2011
ca. 280 Seiten
ISBN-epub: 978-3-608-10222-2
Der Inhalt:
Der 19-jährige Julien, Sohn erfolgreicher, in der Schweiz lebender kroatischer Einwanderer, wurde gerade von seiner Freundin verlassen. Tief empfundener Liebeskummer entfacht seine Todessehnsucht. Er stiehlt das Auto seiner Eltern und fährt an die Front in Kroatien. Julien will sterben, aber durch die Teilnahme am Jugoslawienkrieg seinem Tod zugleich einen Sinn geben. Er wird Scharfschütze in einer Aufklärungseinheit. Dort lernt er Marina, die Liebe seines Lebens, kennen. Gleichzeitig, Kapitel für Kapitel wechselnd, wird die Geschichte des drogensüchtigen Journalisten Martin erzählt, der ebenfalls von seiner großen Liebe verlassen wurde. Martin, voller Selbstmitleid, verbringt seine Tage und Nächte mit exzessivem Alkoholkonsum und dann auch mit Kokain und Heroin.
Das Leseerlebnis:
Zwar verbringt Julien nur wenige Tage im Kriegsgeschehen, aber dessen Brutalität wird in seiner ganzen Härte in der Handlung erfahrbar. Die Schilderung der Gräueltaten ist nichts für schwache Nerven: Grausam zugerichtete Folteropfer werden ebenso beschrieben wie die Versorgung Verwundeter. Die Frage nach den Ursachen des Krieges wird allerdings nicht gestellt. Aufgrund der Perspektive von Julien, der auf kroatischer Seite kämpft, ist das Freund-Feind-Bild jedoch klar vorgegeben. Auch bleibt die Motivation Juliens diffus: Er tötet ohne Gewissensbisse zahlreiche Gegner, und zwar von Anfang an ... Reicht dafür ein unbestimmtes Heimatgefühl und der Wunsch selbst zu sterben aus?
Juliens Kriegsgefährten, von denen viele in diesen wenigen Tagen schwer verletzt werden oder sterben, erscheinen als glaubhafte Charaktere. Tragisch, aber auch fesselnd ist die Geschichte um die Verwundung und den späteren Tod von Marina, die er an der Front kennen und lieben lernt.
Die Julien-Episoden lesen sich deutlich interessanter als die Martin-Kapitel, obwohl sie in der sprachlich schwer zu erfassenden Perspektive des sich selbst beobachtenden Erzählers geschrieben sind – „man“ statt „ich“.
Martin ist ein Antiheld ohne Sympathie-Potenzial. Als Leser hat man durchaus Verständnis dafür, dass ihn seine Freundin vor die Tür setzt. Der arbeitslose Journalist säuft, treibt sich in Bars herum, lässt sich gehen, reflektiert sein eigenes Versagen nicht. In zugedröhntem Zustand spielt er russisches Roulette. Voller Selbstmitleid führen seine Gedankengänge zurück in die Zeiten als die Beziehung mit Helena noch in Ordnung war, wie z.B. die eindrucksvoll geschilderte Schiffsreise inklusive eines heftigen Sturmes.
Warum diese beiden Figuren und die separierten Handlungsstränge, die sich erst am Schluss verbinden? Martin und Julien laufen vor ihren als schmerzhaft empfundenen Lebenssituationen davon, bei beiden spielen Alkohol und Drogen eine große Rolle, beide leiden unter Depressionen und sind suizidgefährdet.
Es ist keinesfalls eine leichte Lektüre, keine Unterhaltung, sondern ein anstrengender Stoff um Krieg, Selbsthass, Selbstmord, Drogen, Alkohol und Frauen. Er führt den Leser an die Grenze des Erträglichen. Gerne würde man an der einen oder anderen Stelle die Lektüre beenden, aber der Schluss des Buches bringt eine erstaunliche Wendung. Trotz einiger Schwächen ist Drift eine empfehlenswerte Lektüre.
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